(Bonn, 12.07.2016) Thomas Schirrmacher hat als private Meinungsäußerung zwölf Thesen und einen kommentierten Gang durch den gesamten Text als „kritische Stellungnahme“ vorgelegt. Darin kritisiert er den moralisierenden Ton im Namen der Toleranz, der de facto andersdenkenden Christen das Weitergeben des Evangeliums an Muslime als „gegen den Geist Jesu“ gerichtet untersagt. Zudem behaupte man, dass sich Mission und Dialog ausschlössen, genau das Gegenteil sei aber inzwischen weltweiter ökumenischer Konsens, wie die neueste Missionserklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen und das in der Handreichung oft genannte Dokument „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ belegten.

Die Stellungnahme vom 12.07.2016 kann hier vollständig heruntergeladen werden:

Hier die Zusammenfassung:

Eine Arbeitshilfe der Evangelischen Kirche im Rheinland (Weggemeinschaft und Zeugnis im Dialog mit Muslimen. Arbeitshilfe der Evangelischen Kirche im Rheinland. Evangelische Kirche im Rheinland – Landeskirchenamt / Abteilung III Dezernat III.1 Ökumene, Mission, Weltverantwortung: Kirchenrat Pfarrer Rafael Nikodemus. Düsseldorf 2015.) argumentiert, dass, wer für ein friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft und für einen Dialog zwischen Christentum und Islam sei, gegen christliche Mission sein müsse und diese ganz einstellen müsse, gleich, ob sie im großen Stil geplant ist oder nur eine persönliche, private Absicht darstellt. Die Kernaussage ist:

„Eine strategische Islammission oder eine Begegnung mit Muslimen in Konversionsabsicht bedroht den innergesellschaftlichen Frieden und widerspricht dem Geist und Auftrag Jesu Christi und ist entschieden abzulehnen.“ (18)

Auch wenn ich weiter unten zentrale Aussagen des Dokuments chronologisch zitiere und diskutiere, sei hier schon grundsätzlich gesagt:

1. Demokratie bedroht – etwa durch aufgeheizte Wahlkämpfe – in gewisser Weise den innergesellschaftlichen Frieden, ebenso wie die Presse- und die Demonstrationsfreiheit. Gehören sie deswegen abgeschafft? Der innergesellschaftliche Friede ist eine recht vage Zielvorstellung, die in einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft aber nicht gegen konkrete Menschenrechte oder klar benennbare Werte in Stellung gebracht werden darf.

In unserer Gesellschaft versucht jeder, jeden zu überzeugen. Parteien wollen gewählt werden, die Werbung will uns vom Kauf überzeugen, die Medien wollen uns ihre Meinung und ihren Kommentar vermitteln. Täglich teilen sich Zigmillionen gegenseitig ihre Überzeugungen mit und freuen sich, wenn andere ihrer Meinung folgen. Zigmillionen schreiben ihre Kommentare in Blogs oder sonst irgendwo hin. Mehr Religionen als je zuvor versuchen, anderen ihre Sicht der Dinge zu vermitteln. Und da wollen wir gewissermaßen eine ‚Käseglocke‘ ausschließlich über Christen ‚stülpen‘, die ihren Glauben mit dem Wunsch vorbringen, das andere ihren Glauben ernst nehmen und diesem folgen?

2. Wir heißen „Christen“, weil wir Jesus Christus nachfolgen, und sollen den Wunsch, dass das auch andere tun, in uns unterdrücken, statt ihn – natürlich friedlich, respektvoll und ohne Zwang – anderen mitzuteilen?

Hinter der Arbeitshilfe spüre ich einen ungeheuren missionarischen Drang der Autoren, anderen Christen mitzuteilen, dass die eigene Auffassung die richtige ist und deswegen andere Auffassungen „fundamentalistisch“ sind und abgeschafft gehören. Nichts deutet darauf hin, dass man diesen Mitchristen dieselbe Toleranz, denselben Respekt, dasselbe Gehör zugesteht, das man von ihnen gegenüber Muslimen einfordert.

Irgendwie passt es nicht in unsere moderne Gesellschaft, wenn die Kirche anderen Christen innerhalb oder außerhalb vorschreibt, wie intensiv sie ihre Überzeugungen verbreiten dürfen. Denn die Arbeitshilfe beschränkt sich ja nicht auf die eigene Kirche, der die Autoren angehört. Sie argumentiert mit dem Geist Jesu, der weltweiten Ökumene usw., erhebt also den Anspruch, der gesamten Christenheit etwas Wesentliches mitzuteilen, also auch anderen Konfessionen oder Freikirchen, so etwa den missionarischsten Gemeinden, die wir in Deutschland derzeit haben, den sog. Migrantengemeinden. Eine afrikanische Gemeinde, deren Mitglieder teilweise vor der fehlenden Religionsfreiheit und damit dem Missionsverbot in ihren Ländern geflohen sind, werden nun von westlichen Theologen und Theologinnen belehrt, dass Mission zwar grundsätzlich in Deutschland menschenrechtlich zulässig, aber in Wirklichkeit gegen den Geist Jesu gerichtet ist. Weil die Gesellschaft multikultureller wird, dürfen etwa Christen anderer Kulturen hier nicht mehr missionieren?

3. Es ist nicht empirisch belegt, dass ein überzeugtes Darstellen und Diskutieren religiöser Fragen automatisch und immer den Frieden stört und das unabhängig davon, wie Mission betrieben wird. Es sind aber gerade hochreligiöse und missionarische Gruppen in der christlichen Welt, die im Dialog weltweit führend sind, so im katholischen Bereich die Bewegungen Sant’Egidio, Focolare oder Taize, im evangelischen Bereich die Weltweite Evangelische Allianz. Aber auch die größte Dialogplattform der Welt, die „Religions for Peace“ umfasst gerade auch die vermeintlichen Fundamentalisten, seien es die Evangelikalen (einer der ihren ist Vizepräsident), sei es Saudi Arabien. Es ist schlicht und einfach nicht wahr, dass Christen, die Mission ablehnen, Weltmeister im Dialog seien, und solche, die für Mission eintreten, kaum Dialog betreiben.

Erfahrungsgemäß kommt es genauso vor, dass muslimische Gesprächspartner keinerlei Verständnis für die Zurückhaltung von Christen gegenüber ihrer eigenen Religion haben. Denn auffällig ist, wie viele Muslime lieber mit konservativen Vertretern des christlichen Glaubens diskutieren als mit ‚liberalen‘. Es stößt bei Muslimen jedenfalls selten auf Wohlgefallen, wenn Christen sich ihres eigenen Glaubens nicht sicher sind oder sich für ihn quasi entschuldigen.

4. Es geht dabei immer um ein einseitiges Verurteilen: Verurteilt wird die christliche Seite. Da die muslimische Seite in der Regel ihren Anspruch und ihre Missionsabsicht sowieso nie zur Disposition stellt, wird auch erst gar nicht die Forderung erhoben, obwohl doch logischerweise die islamische Mission den gesellschaftlichen Frieden genauso in Frage stellen müsste wie die christliche Mission.

5. Es fehlt jeder Anschluss an die weltweite Entwicklung in der Ökumene. Vor allem ist unverständlich, dass die Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) „Gemeinsam für das Leben: Mission und Evangelisation in sich wandelnden Kontexten“ von 2013 nicht nur nicht vorkommt, sondern ihr Entgegenstehendes zum neuesten Stand der Diskussion erklärt wird.

6. Mir gefällt durchweg der Ton des Papiers nicht, im Namen von Vielfalt und Toleranz de facto anderen Christen Mission zu untersagen. Es sind für mich zwei paar Schuhe, für sich auf Mission zu verzichten und anderen ‚großväterlich‘ zu erklären, dass Mission heute nicht mehr zeitgemäß sei.

Zudem: Diese Forderung kommt von solchen, die das, was sie für falsch halten, in der Regel sowieso nicht tun. Es ist immer einfach, anderen das zu verbieten, was man selbst sowieso noch nie getan hat oder derzeit tut. Kein Wunder, dass die Institutionen der Rheinischen Kirche, die mit dem Thema Mission, Evangelisation und Dialoge befasst sind, sich erstaunt distanziert haben, da sie noch nicht einmal konsultiert wurden.

7. Die Autoren behandeln nur sehr, sehr wenige Bibeltexte und versuchen ihnen einen neuen Sinn zu geben. Sie übergehen, dass die Breite der Evangelien, der Apostelgeschichte, der Paulusbriefe und selbst noch der Offenbarung des Johannes Mission begründet und die Ausbreitung des Evangeliums unter allen Völkern der Welt beschreibt, begrüßt und erbittet. Nirgends machen sie sich die Mühe, die Breite des Zeugnisses nur zu erwähnen, geschweige denn zu widerlegen.

8. Der theoretische Verzicht auf Mission nützt nichts: Die Mehrheitsreligion, im Falle des Papiers die Evangelische Kirche im Rheinland, wird doch nicht dadurch automatisch weniger sozial beherrschend, dass sie auf das theoretische Konzept der Mission verzichtet, während sie gleichzeitig die Glocken läuten lässt, Fernsehgottesdienste abhält, Presseerklärungen abgibt oder Kindergärten, Sozialeinrichtungen und Flüchtlingsheime unterhält etc. Wie das Verhalten der Mehrheitsreligion empfunden wird, entscheidet keine Erklärung der Mehrheitsreligion, sondern das Empfinden der ‚Opfer‘. Es erscheint wenig glaubhaft, gegen Mission von Muslimen zu sein und gleichzeitig Ex-Muslimen nicht die Taufe zu verweigern – immerhin werden in der Rheinischen Kirche derzeit mehr Muslime im Jahr getauft, als in der gesamten Geschichte der Kirche zuvor! Muslime sehen jedenfalls, dass auch im Bereich der evangelischen Landeskirchen ständig frühere Muslime christlich getauft werden, auch wenn die großen Kirchen das ungern zugeben.

9. Es gibt eine wachsende Zahl von Konvertiten vom Islam zum Christentum in Deutschland, nicht nur in Migrantengemeinden, Freikirchen, evangelikalen Gemeinden oder katholischen Kirchengemeinden, sondern auch in Kirchengemeinden der Gliedkirchen der EKD. Warum befragt man nicht diese Neugetauften nach ihren Erfahrungen mit Mission, anstatt das, was zu ihrem Schritt geführt hat, in Bausch und Bogen zu verurteilen? Das Ergebnis akzeptiert man ja, sonst würde man doch die Taufe verweigern. Aber die Ursachen verurteilt man.

10. Mitchristen haben ein Menschenrecht auf Mission, denn Mission ist Teil des Rechts auf Religionsfreiheit. Die Kirche mag über das säkulare Recht hinaus gute innerkirchliche ethische Gründe haben, auf die Ausübung dieses Rechtes zu verzichten und sie anderen Mitchristen vorlegen. Die Arbeitshilfe argumentiert aber gerade meist mit der gesellschaftlichen Realität. Die schließt aber einen Verzicht auf Mission aus, wenn sie Meinungsfreiheit, Pluralität und demokratischen Diskurs nicht in Frage stellen will.

11. Die Handreichung beruft sich am häufigsten auf ein ökumenisches Dokument, das letztlich das Gegenteil der Handreichung besagt. „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ von 2011, verabschiedet vom Vatikan, Ökumenischen Rat der Kirchen und der Weltweiten Evangelischen Allianz, ordnet Mission und Dialog einander deutlich zu und stellt beide nicht in Frage. Es beginnt mit den Worten: „Mission gehört zum ureigensten Wesen der Kirche.“

12. In der Missionserklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen gehören Mission und Dialog untrennbar zusammen. In „Gemeinsam für das Leben: Mission und Evangelisation in sich wandelnden Kontexten“ von 2013 heißt es dazu:

„§95. Evangelisation und Dialog sind verschieden, aber miteinander verbunden. Obwohl Christen und Christinnen hoffen und beten, dass alle Menschen den dreieinigen Gott in lebendiger Weise kennen lernen, besteht der Zweck des Dialogs nicht in der Evangelisation. Da der Dialog aber auch eine „Begegnung verschiedener Loyalitäten“ ist, hat das Miteinanderteilen der guten Nachricht von Jesus Christus dort seinen legitimen Platz. …

§110. Wir bekräftigen, dass Dialog und Zusammenarbeit für das Leben integraler Bestandteil von Mission und Evangelisation sind. Authentische Evangelisation geschieht im Respekt vor der Religions- und Glaubensfreiheit aller Menschen, die als Gottes Ebenbild geschaffen sind. Proselytismus mit gewalttätigen Methoden, wirtschaftlichen Anreizen oder durch Machtmissbrauch steht im Widerspruch zur Botschaft des Evangeliums. In der Evangelisation ist es wichtig, respektvolle und vertrauensvolle Beziehungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Religionen aufzubauen. …“

 

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