Im folgenden finden sich einige Gedanken, die entweder der Länge wegen aus meinem Beitrag „Aufklärungsformate im Fernsehen: Die Ironie der sexuellen Revolution“. S. 202-208 in: Die Medienanstalten (Hg.). Programmbericht 2014: Fernsehen in Deutschland: Programmforschung und Programmdiskurs. Vistas: Leipzig, 2015. ISBN 978-3-89158-610-5 herausgekürzt werden mussten oder aber thematisch am Ende nicht ganz zur vereinbarten Fragestellung passten. Ich stelle sie hier deswegen zur Verfügung. Kursiv gesetzte Absätze finden sich bereist in sehr ähnlicher Form in der Buchfassung.

1 Sexualität noch öffentlicher?

Ausgerechnet der STERN schrieb schon 2007:

„Die Klage über lockere Sexualmoral ist älter als der Minirock. Doch diesmal warnen keine verklemmten Spießer, Fundamentalfeministinnen oder prüde Kirchenmänner. Es sind Lehrer, Sozialpädagogen, Erziehungswissenschaftler, Hirnforscher, Therapeuten, Sexualwissenschaftler und Beamte in Jugendämtern. Sie beobachten nichts Geringeres als eine sexuelle Revolution. Doch dabei geht es nicht um freie Liebe. Mit Freiheit und mit Liebe hat es nichts zu tun. Der Motor für diese Umwälzung der Sexualität sind keine Ideale. Es ist Pornografie …, eine Form der Verwahrlosung: sexuelle Verwahrlosung.“1

Liest man die Sammelbände einschlägiger Fachtagungen wie etwa die von der Gesellschaft für Sexualwissenschaft e.V. veranstalteten Tagung „Sexualität und Neue Medien“2 oder Fachbücher, wie das Handbuch für Strafverfolgungsbehörden und Beratungseinrichtungen eines Psychologie- und eines Soziologieprofessors über Sexualstraftäter im Internet,3 ist man erstaunt, dass diese Ergebnisse einfach ignoriert werden. Dolf Zillmann, amerikanischer Psychologieprofessor und seit Jahrzehnten einer der führenden Pornografieforscher, schreibt etwa im ‚Lehrbuch der Medienpsychologie‘:

„Die intensive Nutzung pornografischer Medianangebote steigert die selbst zugegebene Vergewaltigungsbereitschaft von Männern. Sowohl zwangsausübende als auch nicht zwangsausübende sexuelle Darstellungen haben diese Wirkung.“4

Manche sehen nun die Lösung darin, Sexualität noch öffentlicher zu zeigen, noch öffentlicher zu diskutieren, weitere Befreiungsschläge zu versuchen. Aber verspricht diese Marschrichtung wirklich Erfolg oder endet sie nicht leicht bei dem, was aus der Pornografie wurde: Aus dem Traum, sie werde uninteressant, wenn gewissermaßen jeder jeden nackt sehen kann, wurde eine Spirale immer radikalerer Pornografie losgetreten, um den Kick zu finden (und mehr Geld zu verdienen), gleich ob es sich um größere Auswahl oder zunehmende Verrücktheiten handelt oder um illegale Varianten wie Vergewaltigungsdarstellungen (die sich heute jedes Kind mit drei Klicks anschauen kann) oder Kinderpornografie.

2 Privat gegen öffentlich-rechtlich?

Am 17.10.2011 diskutierte ich in der Sendung von Eins gegen Eins in Sat.1 mit der Porno-Rapperin Lady Bitch Ray, der Clubbetreiberin Dominique und dem Sexualwissenschaftler Prof. Jakob Pastötter unter der Moderation von Claus Strunz das Thema „Porno als Massenphänomen – macht das unsere Gesellschaft kaputt?“5 Die Sendung hatte die bisher höchste Einschaltquote der Serie mit 6,4% der Zuschauer. Also selbst Eins gegen Eins kann seine Einschaltquote mit Sex steigern. Sex sells. Wir beiden Wissenschaftler waren nur das Feigenblatt, denn der Moderator beschäftigte sich neben den vielen Einspielungen (weil ja sonst keiner weiß, was mit ‚Pornografie‘ gemeint ist) mehr mit den Utensilien, die die beiden Pornodarstellerinnen anhatten (bzw. fast nicht anhatten) als mit dem Thema der Sendung, was zur Freude der BILD-Zeitung zum „Schamhaar-Skandal“ führte.6 Trotz allem: Gelohnt hat sich für mich die Sendung, denn die Abstimmung der überwiegend jugendlichen Zuschauer zeigte eine starke Verschiebung von der harmlosen Position hin zu einer kritischen Hinterfragung der Werte der vorherrschenden Art der Pornografie, etwa der Gewaltpornografie.

Am meisten schockierte mich,7 dass, wenn immer ich von Vergewaltigungsvideos im Web sprach, ausgerechnet die beiden Frauen die Sache völlig verharmlosten. Das sei doch wie im Krimi. Da sehe man auch, dass Menschen getötet werden, und wisse doch, dass das nur ein Film sei. Die Millionen von Männern, die „rape sex“ bei Google eingeben, wollen also Kunst sehen und einen netten Filmabend verbringen? Und sie denken auch die ganze Zeit daran, dass das ja nur eine Aufnahme ist (und woher weiß man, ob es wirklich nur eine Aufnahme und nicht Realität ist?). Wollen sie sich nicht schlicht und einfach an der völligen Macht und brutalen Gewalt über Frauen berauschen? Der Feminismus hat uns gelehrt: Sexuelle Gewalt ist keine Form von Sex, sondern eine verschärfte, erniedrigendere Form von Gewalt

Ganz anders der Sonntagmorgentalk von fünf ganz unterschiedlichen Fachleuten und Betroffenen im West-Art-talk (WDR)8 zum Thema: „Sex im Überfluss – doch wo bleibt die Lust?“ unter Moderation von Holger Noltze. Sehr offenherzig, sehr selbstkritisch („Eltern klären heute ihre Kinder nicht leichter auf, als früher, sie überlassen es jetzt der Pornografie.“) Positionen prallten ernsthaft aufeinander, zeigten aber auch eine enorme Gemeinsamkeit, wenn es etwa um Hilfen für Kinder ging. Bilder und Einspielungen waren nicht nötig, jeder wusste auch so, worüber diskutiert wurde. Wenn ich die Sendung erneut anschaue, bin ich erfreut, wie hilfreich sie für ganz unterschiedliche Zuschauergruppen war. Nur die Einschaltquote reichte natürlich nicht in die Nähe von ‚Eins gegen Eins‘. Ähnlich erging es mir bei zahlreichen anderen Diskussionsrunden im öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehen in Deutschland.

3 Die Selbstdarstellung von MAKE LOVE

Während im deutschen Privatfernsehen in puncto Sexualität und Pornografie bis an die Grenzen des gesetzlich gerade noch Zulässigen alles möglich geworden zu sein scheint, war einer der Begründungen für die Existenz von durch gesetzlich vorgegebene Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Sendern gerade, dass sie es so nicht nötig haben, durch den Bruch (fast) aller Schamgrenzen die Zuschauerquoten zu steigern. Mit Dokus rund um das Thema Sexualität wird dieser Unterschied meines Erachtens zunehmend geringer. Man verweist darauf, Sexualität würde hier eben seriöser behandelt, aber man macht sich doch alle Elemente von ‚Sex sells‘ zunutze.

Ich möchte mich hier auf das bedeutendste Beispiel, die ARD-Sendereihe ‚MAKE LOVE‘ (www.make-love.de) von MDR & SWR beschränken. Denn während die einen meinen, dass damit das niedrige Niveau des Privatfernsehens erreicht ist, argumentieren MDR & SWR selbst gerade umgekehrt: Für sie ist MAKE LOVE der Beweis, dass sie seriöse Dokumentationen erstellen und diese trotzdem hohe Zuschauerquoten erreichen. So sagt Wolf-Dieter Jacobi, Fernsehdirektor des MDR:

„Die Stärke der ‚MAKE LOVE‘-Doku-Reihe ist ihre Seriosität. Das haben die Menschen honoriert.“ 9

Doch wie konnte man das alles so kurz nach der Ausstrahlung wissen? Hat man das untersucht? Oder behauptet man das einfach? Oder anders gesagt: Was hat man unternommen, um herauszufinden, ob es um ‚Sex sells‘ oder wirklich um soziales Lernen geht? Vermutlich nichts. Dem MDR fehlt meines Erachtens auch nach vielen Folgen der Serie eine echte Selbstanalyse, geschweige denn eine unabhängige Begutachtung, es handelt sich hier eher um Eigenwerbung.

Schon der Medienrummel rund um die Serie spricht eine deutlich andere Sprache, etwa die massive Unterstützung durch die Berichterstattung der BILD-Zeitung. Praktisch überall wurde der Kitzel in den Mittepunkt gerückt, dass nun auch die ARD Paare live beim Sex zeigt. Ist es Zufall, dass in den Online- und Printmedien fast ausschließlich Fotos gezeigt werden, auf denen die Therapeutin neben der Matratze steht, auf dem das Modellpaar Stellungen zeigt? Ist das nicht der Kitzel: wissenschaftliche Kommentare, während andere es machen?

Hören wir weiter den Originalton der Selbstdarstellung:

„Das gemeinsame multimediale MDR/SWR-Aufklärungsformat ‚MAKE LOVE – Liebe machen kann man lernen‘ traf den Nerv der Menschen und erzielte zwischen dem 3. November und 4. Dezember 2013 eine überdurchschnittliche Resonanz bei Zuschauern, Hörern, Online-Nutzern, im Social Web und in den Medien. Auch nach dem gelungenen bundesweiten Auftakt … im MDR FERNSEHEN (3.11. / 1,05 Mio.) und im SWR Fernsehen (6.11. / 0,80 Mio.) vertrauten die Zuschauerinnen und Zuschauer weiterhin der Kompetenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lebensnah-informativ, erfrischend-ehrlich und wissenschaftlich-fundiert an das Thema Sexualität heranzugehen. Insgesamt haben 3,66 Millionen Menschen bundesweit mindestens eine von fünf Folgen der im Vorfeld heiß diskutierten Dokumentation im MDR FERNSEHEN oder im SWR Fernsehen gesehen. Das ‚MAKE LOVE‘-Onlineangebot von MDR und SWR erreichte bisher über zwei Millionen Page Impressions. Die Einzelvideos des Webspecials www.make-love.de und die gesamten Folgen in den Mediatheken wurden bisher mehr als 3,5 Millionen Mal abgerufen. ‚Damit hat das Webspecial im Bereich der Dokuserie alle Rekorde gebrochen‘, erklärt Georg Maas, MDR-Hauptabteilungsleiter Telemedien.“10 „Mit durchschnittlich 10,8% Marktanteil für die Serie konnte das MDR FERNSEHEN seinen Marktanteil am Sonntagabend nach 22.00 Uhr im MDR-Sendegebiet verdoppeln und gehörte damit zu den drei anziehungsstärksten Angeboten des deutschen Fernsehmarktes auf diesem Sendeplatz. Auch das SWR Fernsehen konnte mit der neuen Sendereihe punkten. Im SWR-Sendegebiet wurden durchschnittlich 7,2 % Marktanteil erreicht; damit verbesserte sich die Sendeplatzbilanz ebenfalls deutlich.“11

Will man also den privaten Sendern völlig die „Kompetenz“ absprechen, „lebensnah-informativ, erfrischend-ehrlich und wissenschaftlich-fundiert an das Thema Sexualität heranzugehen“? Und „wissenschaftlich-fundiert“? Dazu hätte man beispielsweise 20 TherapeutInnen befragen sollen, was sie angesichts ähnlich gelagerter Situationen von den Ratschlägen in der Serie halten. Meine persönliche undokumentierte Blitzumfrage unter ebensolchen ergab spontan Antworten wie „viel zu glatt“, „viel zu sehr auf Mechanik konzentriert“, „handverlesen und deswegen realitätsfern“, „es wird immer nur eine Sichtwiese präsentiert“. Oder wie wäre es gewesen, wenn jeweils drei TherapeutInnen befragt worden wären, was sie denken. Es hätte bestimmt erhebliche Diskussionen gegeben und die Zuschauer hätten gelernt, wie schwierig guter Rat in Sachen Beziehung und Sexualität ist. So aber widerspricht der moderierenden Therapeutin niemand, sie hat immer das letzte, fast päpstliche Wort, wie es ist.

In der Schule untersuchte unsere Lehrerin mit uns, wie Johannes Mario Simmel in „Es muss nicht immer Kaviar sein“ seiner Zeit schlüpfrige Geschichten für Konservative schrieb. Aus dem Blickwinkel der Entrüstung konnten die Konservativen lesen, was sonst als Unterschichterotikroman galt. Die BILD-Zeitung hat meines Erachtens diese Form vollendet: Voller Entrüstung berichtete sie jüngst über einen Fall von Sex einer Oma mit ihrem Enkel und bedient damit diejenigen, die mit ruhigem Wissen eine Steigerung des noch-nie-Dagewesenen lesen wollen. Bei MAKE LOVE scheint mir das ganz ähnlich zu sein.

4 Soziales Lernen?

Es hat sich auch niemand darum gekümmert, ob es zu sozialem Lernen kam, also erhoben, welche Veränderungen solche Sendungen bewirken. Wohlgemerkt: Bei Millionen Zuschauern wird es immer viele geben, die im guten Sinne gelernt haben. Die Frage ist aber: Erklärt das die Zuschauerzahlen und unterscheidet sich dieser positive Erfolg nennenswert von Sendungen des Privatfernsehens? Sendungen rund um Sexualität im Privatfernsehen werden überwiegend nicht von Paaren gemeinsam geschaut. Ist MDR/SWR gelungen, diesen Trend zu ändern, so dass Paare hinterher gemeinsam über das Gesehene sprechen und auf ihre Probleme beziehen können?

Die Selbstdarstellung dazu lautet:

„Obwohl sich jeder mit Fragen der Sexualität und des Alltags in Paarbeziehungen sowie im Singledasein identifizieren kann, fällt Männern und Frauen das Sprechen über die natürlichste Sache der Welt noch immer schwer. Um dieses Schweigen zu brechen, wurde das multimediale Fernsehformat im Auftrag von MDR und SWR von der Gebrüder-Beetz-Filmproduktion mit der Paar- und Sexualtherapeutin Ann-Marlene Henning als Protagonistin zielgerichtet für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk produziert.“12 „Vor allem von 30- bis 40-Jährigen kamen sehr viele Fragen über Telefon, SMS oder Chat. SWR3-Moderatorin Regina Beck wurde jede Woche aufs Neue überrascht, wie groß das Bedürfnis ist, die eigenen Probleme in puncto Sex und Partnerschaft mit der Expertin zu besprechen.“13

Aber hilft es, im Fernsehen das Schweigen zu brechen dabei, die Probleme mit dem Partner zu besprechen? Und kann die Erfahrung durchbrochen werden, dass es leichter ist, allein mit Experten zu sprechen oder moderiert darüber zu sprechen, als völlig natürlich und normal im häuslichen und alltäglichen Umfeld? Warum sagt die Therapeutin eigentlich nie: „Das können sie nur selbst im Gespräch miteinander lösen.“ Den Paaren, die Probleme haben, über ihre gemeinsame Sexualität sinnvoll miteinander zu reden, fiel es immer schon leichter, über die sexuellen Probleme anderer zu sprechen, oder anderen dabei zuzuhören, wenn sie über ihre Probleme sprechen. Und den Eltern oder Erziehungsberechtigten, die Probleme damit haben, mit ihren Kindern über Sexualität zu sprechen, fiel es immer schon leichter, im Fernsehen anzuschauen, wie andere in künstlichen Situationen nachgestellt und geschauspielert mit Kindern und Jugendlichen reden.

5 Zwei Beispiele

Wählen wir ein Beispiel. Antje Hildebrandt schreibt in der WELT kritisch zum interviewten ‚Frances‘ in Folge 4 von MAKE LOVE:

„Lieber breitet er sein Problem in der Fernseh-Sprechstunde mit Ann-Marlene Henning aus. Das spricht zwar für die Sex-Therapeutin, aber gegen den Erfolg einer solchen Nachhilfe. Denn wie muss sich Frances’ Partnerin im Bett fühlen, wenn er zuvor einem Millionenpublikum anvertraut hat, worüber er nicht mal mit ihr spricht?“14

Als Reaktion werden Frances bessere Techniken angeboten, unter anderem für die Selbstbefriedigung, als wenn das irgendetwas mit der von ihm befürchteten Zurückweisung durch seine Partnerin zu tun hätte. Es wir ihm aber nicht erklärt, wie er mit seiner Partnerin darüber ins Gespräch kommen kann. Die psychologische Hilfe, die nötig wäre, wird ersetzt durch vermeintlich noch bessere Techniken. Damit wird aber der Erfolgsdruck noch mehr erhöht. Wählen wir ein weiteres Beispiel.

Nicola Erdmann schreibt zur 2. Folge der 2. Staffel – meines Erachtens treffend:

Der Optimierungswahn macht vor keinem Lebensbereich halt. Selbst wenn im Bett alles gut läuft, glauben Paare, es müsse noch viel besser sein. … Britta und Matthias sind seit etwa eineinhalb Jahren ein Paar, sie wirken ziemlich glücklich, eigentlich ist alles gut. Aber, natürlich, es gibt ein Aber, es gibt einen Bereich, den sie optimieren wollen, wo man etwas tun könnte – im Bett. Denn: ‚Wir landen meist in der gleichen Stellung‘, erzählt Britta, ‚von hinten‘. So käme er gut zum Orgasmus, sie auch, aber das ginge doch nicht, immer diese gleiche Stellung. Das ist, ganz knapp, ein Aspekt des ‚Problems‘ von Britta und Matthias … Ann-Marlene Henning nickt übrigens sehr verständig, als Britta ihre Sorgen schildert – hier muss geholfen werden. Dabei könnte man, ganz harmlos, auch denken: Beide mögen das, beide befriedigt das, ist es dann nicht einfach auch mal gut? Zumal das Thema der Sendung ‚Sex statt Porno‘ lautete und für einen entspannteren Umgang mit Sex sorgen sollte: Das, was man da sehen kann, ist nicht echt, macht nicht immer Spaß, geht auch ganz anders, so die Botschaft. Britta und Matthias aber sollen nun andere Stellungen ausprobieren, abseits von den Klassikern. Dazu sehen sie sich das Modellpaar im Video an, das vorführt, was man so machen kann. … Das könne weh tun, ‚ja, das ist unangenehm‘, bestätigt Britta, aber ausprobieren sollen sie es trotzdem. … Immer ‚weiter arbeiten‘ müsse man, erklärt die Therapeutin, gibt dem Paar Hausaufgaben. Das übrigens irgendwann berichtet, dass es nun weniger Sex habe – aber ganz bestimmt, weil sie das ja nun alles ‚intensiver‘ besprechen und erleben würden. Die Gespräche klingen wie Problembehandlungen kaputter Computer, wie Diskussionen wissenschaftlicher Theorien. Und alles, weil ein Paar glaubt, es müsse mehr tun, mehr ‚performen‘, aufregender lieben.“15

Oder anders gesagt, die genannte Folge hat den Druck, den sie vermeintlich abbauen will, nur einmal mehr verstärkt – und jetzt sagt es sogar noch die Therapeutin! Hätte die Therapeutin wirklich die Freiheit gehabt zu sagen: Orientieren sie sich nicht an den Bildern anderer, sondern an ihrem Spaß – und dann auf ihre Videos verzichten können, weil sie in dem Fall vermutlich dem interviewten Paar mehr schaden als nutzen?

6 Drei weitere Bemerkungen

Nun noch drei weitere Fragen bzw. Gedanken, die ich einfach hintereinander stelle:

  1. Ist dies Format vor allem so gewählt, weil es aufklärt? Das kann man einfach ausprobieren: Man ersetzte die gezeigten Stellungen durch anschauliche Strichzeichnungen oder animierte Darstellungen. Der Informationsgehalt ist der gleiche, Nachahmen wird nicht schwieriger, aber die Einschaltquote wird sinken. Selbst Paare im Bikini dürften der Einschaltquote abträglich sein.
  2. Der MDR behauptet, der Sex in MAKE LOVE sei „live“. Die Realität ist: Die Stellungsvideos werden jeweils vorab am Stück an einem Tag gedreht. Und dass es sich bei den Darstellern um Paare aus dem realen Leben handelt, gibt es in der Internetpornografie schon lange, viele selbst eingestellte Pornos sind sicher viel mehr ‚live‘, als eine mit großem Aufwand produzierte Fernsehserie. Zudem hat offensichtlich der Regisseur vor allem bestimmt, was gezeigt wird. Offensichtlich wurden auch Szenen mehrfach gedreht, dazu sind die Szenen zu perfekt und auf Minutenzeit gedreht.
  3. Mut? Dass Leute in der Sendung ihre Probleme offen schildern, wird immer wieder als ‚mutig‘ bezeichnet. Angesichts vieler Sendungen, in denen Menschen im Fernsehen über ihre Probleme jedweder Art sprechen, und dem Umstand, dass sie dafür Schlange stehen, erweist sich der ‚Mut‘ eher als eine Werbeaussage. Soziologisch scheint die Möglichkeit, im Fernsehen zu einem großen Publikum zu sprechen und ‚berühmt‘ zu werden, die Hemmung, bestimmte Dinge zu sagen, aufzuheben, den ‚Mut‘, dann auch privat darüber zu sprechen, steigert das nicht.

Fußnoten

1 Walter Wüllenweber. „Sexuelle Verwahrlosung: Voll Porno!“. stern.de vom 14.2.2007 aus Stern 6/2007 (abgerufen 11.10.2010).

2 Kurt Seikowski (Hg.). Sexualität und neue Medien. Lengerich: Pabst Science Publ., 2005, siehe darin bes. Nadine Van Ngoc, Kurt Seikowski. „Sexualität und Kriminalität im Internet“. S. 133-149.

3 Dennis Howitt, Kerry Sheldon. Sex Offenders and the Internet. New York: Wiley, 2007.

4 Dolf Zillmann. „Pornografie“. S. 566-585 in: Roland Mangold u. a. Lehrbuch der Medienpsychologie. Göttingen: Hogrefe, 2004. S. 585.

8 10.04.2011, 11:00 Uhr west.art Talk.

10 Ebd.

11 Ebd.

13 Ebd.

14 Antje Hildebrandt. „Was tun, wenn der da unten nicht will?“. WELT 24.11.2013.

15 Nicola Erdmann. „Beiden gefällt der Sex – sie brauchen Hilfe!“. WELT vom 22.11.2014.

 

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