Gerd Held beklagt angesichts brennender Autos in Berlin und brutaler Gewalt auf Bahnsteigen in einem Leitartikel der WELT zu Recht, dass die Rechtsprechung kaum noch den Schutz der Bürger im Auge hat, dafür aber allerlei psychologisch-soziale Erwägungen zugunsten der Täter, so dass der Strafrahmen nicht ausgenutzt und das Recht wehrlos wird. [„Anonyme Macht“ Die Welt 7.3.2011 (hier), Online vorher am 6.3.2011 als „Die Justiz – Unkontrollierte Macht der Demokratie“ (hier).]

Richter sollten „ohne Ansehen der Person“ dem Recht Geltung verschaffen. Im Falle eines Berliner Brandstifters habe ein Richter festgestellt, dieser sei „kein Gewaltmensch“ und ihm eine positive Aussicht für die Persönlichkeitsentwicklung bescheinigt. „Aus dem Mund des Richters sind solche Prognosen Spekulation, vielleicht sogar Ideologie, im praktischen Resultat Arbeitsverweigerung“. Amen.

Held schreibt: „Nun stellt man seit Jahren den Bürgern eine ,befriedende Wirkung‘ in Aussicht, wenn das Recht sich in Sozialpädagogik verwandelt.“ Das Gesamtresultat habe das längst widerlegt.

Allerdings geht Held meines Erachtens nicht weit genug. Wehrhaftes Recht bedeutet für ihn vor allem und zu Recht, dass der Richter vorrangig feststellt, ob der Täter die Tat wirklich begangen hat und dann das dafür festgelegte Strafmaß verhängt. Aber das deutsche Recht hat sich schon lange davon verabschiedet, dass Strafe die Allgemeinheit schützen soll (Generalprävention), und erst recht davon, dass sie schlicht Strafe für eine Tat ist, da man solcher Art Strafe als ,Rache‘ und als Überbleibsel ,religiöser Absolutheit‘ ansieht. Oberstes Ziel der Strafe muss die Resozialisierung sein.

Zwar folgt die Masse der Bevölkerung weiterhin einem vermeintlich archaisch-mittelalterlich-religiösen Strafverständnis und hat kein Verständnis dafür, dass Triebtäter freigelassen werden und gleich bei nächster Gelegenheit wieder zuschlagen, aber ich kenne keinen unserer einflussreichen Juristen und Juristinnen, der noch wagen würde zu behaupten, dass Strafe vor allem erst einmal Strafe ist und das Strafmaß vor allem erst einmal eine der Schwere der Tat entsprechende Bestrafung sein sollte, „ohne Ansehen der Person“, also unabhängig davon, ob der Täter dick oder dünn, müde oder frisch, alt oder jung, arm oder reich, gebildet oder ungebildet ist, welcher Herkunft er schichtmäßig, sprachlich, kulturell oder abstammungsmäßig ist und wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass er dieselbe Tat wieder begeht.

Demnach wäre die Hauptaufgabe eines Richters nicht die eines Sozialarbeiters (wofür ihm im übrigen jede Ausbildung oder Erfahrung fehlt, zumal er ja meist nicht erfährt, was aus den Menschen und aus seinen Urteilen wird), sondern 1. der korrekten Feststellung, was eigentlich passiert ist, 2. ob der Angeklagte dessen schuldig ist und 3. welche Gesetze beziehungsweise Urteile darauf zutreffen und welches Strafmaß vorgeben.

Ich erinnere mich, dass mich zwei angetrunkene 17jährige in der Straßenbahn mit dem Messer bedrohten, um mich davon abzuhalten, dem Fahrer zu melden, dass sie die Bahn großflächig mit einem schwarzen Edding ruinierten. (Tatsächlich hatte ich es längst gemeldet.) Der Fahrer hielt an, stellte sich mutig (und vermutlich nicht ganz legal) mit einer großen Stange zwischen mich und die Bedroher, wobei er auch bedroht wurde, bis schließlich die Polizei eintraf.

Bei der Gerichtsverhandlung wurde dann das gesamte Vorstrafenregister verlesen. In etwa 10 Gerichtsbezirken deutschlandweit lagen dutzende Fälle von Körperverletzung, Autodiebstahl, Raub, Erpressung usw. vor, und zwar alle gemeinschaftlich begangen, wenn auch nirgends in einem schweren Fall. Erst jetzt wurde mir klar, welches Glück ich hatte, und dass mein wahrer Schutz nicht Polizei und Gerichtsbarkeit waren, sondern ein mutiger, mich für wichtiger als seine Vorschriften haltender Straßenbahnfahrer, der im übrigen in seiner Freizeit zur Verhandlung kam – die Stadtwerke rechneten ihm dies nicht als Arbeitszeit an!

Da die Täter die Bahn bereits gesäubert hatten (oder dafür bezahlt hatten), leicht angetrunken waren, sich entschuldigten, kamen sie erneut glimpflich davon, wobei der Richter ihnen androhte, dass nächste mal kämen sie nicht so glimpflich davon (aber sie waren es doch schon so oft!). Außerdem seien sie in Kürze 18 Jahre alt und würden dann nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt (auch das ist ja in den meisten Fällen nicht so).

Die Gerichtsverhandlung machte mir jedenfalls sehr deutlich, dass die Richterin sich vor allem als Sozialarbeiterin und Menschenversteherin verstand. Was mit mir und dem Straßenbahnfahrer war, spielte für den Ablauf kaum eine Rolle, wir selbst waren ihr nicht weiter wichtig, obwohl ja wir vielleicht auch eine Sozialarbeiterin nötig gehabt hätten.

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert