Schirrmacher hält Ansprache beim Trauer- und Dankgottesdienst in der Freien evangelischen Gemeinde Nürnberg

Während des Trauer- und Dankgottesdienst für Rudolf Diezel am 24. Januar 2022 hielt der Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz, Bischof Dr. Thomas Schirrmacher, eine Ansprache.

Während des Trauer- und Dankgottesdienstes für Rudolf Diezel © BQ/Thomas Schirrmacher

Während des Trauer- und Dankgottesdienstes für Rudolf Diezel © BQ/Thomas Schirrmacher

Schirrmacher würdigte unter anderem Diezels Einsatz für die Gemeinde und sein Herz für Evangelisation. Dabei erinnerte er daran, dass Rudi Diezel das andauernde Bibelstudium betont hat und für das fortwährende theologische Lernen für jeden eingetreten ist. Auch sei seine Bereitschaft auf andere zuzugehen und nicht zuletzt seine seelsorgerliche Haltung, mit der er immer wieder auf die Wichtigkeit des Vertrauens in Jesus Christus hinwies, für ihn selbst prägend gewesen. „Ich wäre nicht da, wo ich heute bin, wenn er nicht deutlich gemacht hätte: Es geht nicht um uns, es geht nicht darum, wie wir uns fühlen und ob das alles irgendwie passt und auch nicht, ob die Menschen die wir repräsentieren die nettesten dieser Welt sind, sondern um Jesus“, so Schirrmacher.

Wir dokumentieren im Folgenden die vollständige, real gesprochene Ansprache, die nur minimal bearbeitet wurde. Der Stil der Rede wurde beibehalten. (PDF-Download)

Ansprache von Thomas Schirrmacher

Wenn Rudi Diezel noch unter uns wäre und wüsste, was ich hier (auf dem Blatt) stehen habe, würde er mir streng verbieten, zu reden. Zum Glück bin ich in einer Position, wo er nicht mehr mein Chef ist, und ich darf rückblickend darüber sprechen, was er mir, was er in Bonn, was er für die Allianz, bis zur Weltweiten Evangelischen Allianz bedeutet hat. Denn ich glaube, ich wäre heute nicht Generalsekretär, wenn er in der Zeit in Bonn mich nach einer tiefen, naja nicht nur einer, Enttäuschung über die „evangelikale“ Welt nicht in diese zurückgeholt hätte.

Es ist ein bisschen merkwürdig, als Generalsekretär der WEA so etwas zu sagen, aber meine Frau und ich hatten irgendwie innerlich damit abgeschlossen, und er hat uns irgendwie durch die Hintertür wieder in die Gemeindearbeit hineingezogen und uns deutlich gemacht, was wir hier jetzt auch immer wieder hören: Es geht nicht darum, wie man dasteht, ob die Leute um einen nett zu einem sind, es geht darum, ob man sich ganz auf Jesus Christus verlässt, ganz auf sein Wort verlässt. Und um das, weswegen wir heute hier sind: die Schau auf die Ewigkeit. Das, was wichtig ist, ist das, was dann zählt, nicht was hier zählt.

(von links): Thomas Schirrmacher, Wilfried Reuter und Rudolf Diezel im Jahr 1994 © privat

(von links): Thomas Schirrmacher, Wilfried Reuter und Rudolf Diezel im Jahr 1994 © privat

Es war typisch für Rudi Diezel, dass er mich an seine Seite rief. Warum? Es war schon sehr ungewöhnlich als Pastor, dass er zwei Gaben-Schwerpunkte hatte, nämlich die Evangelisation – die Verkündigung des Wortes Gottes – und die Seelsorge. Manch ein Pastor wünschte sich, er hätte gleich zwei solcher Standbeine. Er war der derjenige, der sagte: Was fehlt, ist die Lehre. Dass er damals mich als Theologieprofessor, erst ehrenamtlich und dann halbtags bezahlt, dazu holte, war so untypisch, wie er selber Pastor geworden war und nicht die Begeisterung von jedermann auslösend. Es war eine unglaublich prägende Zeit für mich, im Windschatten dessen, was er dort aufbaute. Er brachte diese ganze, was soll ich mal sagen, diese ganze Gründermentalität aus Nürnberg mit, und es hat ihn überhaupt nicht interessiert, dass die Gemeinde schon verhältnismäßig alt war. Er brachte diesen Gründerschwung wieder nach Bonn. Und ich habe dann auch später, nach der Bonner Zeit, noch mal einen Punkt mit meiner Frau zusammen erlebt, wo wir eigentlich mit allem abschließen wollten – und auch da war er derjenige, der viel Verständnis dafür hatte, aber uns neu ausgerichtet hat.

Deswegen kann ich durchaus sagen, ich wäre nicht da, wo ich heute bin, wenn er nicht deutlich gemacht hätte: Es geht nicht um uns, es geht nicht darum, wie wir uns fühlen und ob das alles irgendwie passt und auch nicht, ob die Menschen die wir repräsentieren die nettesten dieser Welt sind, sondern um Jesus.

Ich hatte die Aufgabe, Lehre systematisch in die Hausbibelkreise zu bringen. Damals, eine unglaubliche Erfahrung: Wir haben den Römerbrief komplett durchgemacht, das ist dann hinterher sogar alles in Buchform erschienen. Und da sind wir schon bei einem seiner ganz wesentlichen Themen: Dieses fortlaufende „die Bibel studieren“. Für ihn waren die Hausbibelkreise zentral – und er hat ja mit der Zeit durchgesetzt, dass praktisch die ganze Gemeinde, die ganze, große Gemeinde, dazugehörte, nicht nur ein paar besonders „Intensive“. Denn es war ihm wichtig, dass da regelmäßig fortlaufend die Bibel gelesen wurde und nicht nur diskutiert wurde und nicht nur Lieblingsthemen drankamen. Und das machte sich bemerkbar, nebenbei auch in seinen Predigten. Ich habe hier ein Vorwort aus einer deutschen Ausgabe von Martin Lloyd Jones, die ich schon oft in der Weltweiten Allianz zitiert habe von ihm, wo er begründet, warum er eigentlich die gesamten Jahre nur fortlaufende Predigten gehalten hat. Die längste – so habe ich gezählt – sind 32 Stück in Folge gewesen, Bibeltexte hintereinander weg. Davon war er zutiefst überzeugt, und das spielt natürlich auch voll in den Bibellesebund mit rein. Und ich kann Ihnen sagen, wenn Sie Rudi Diezel nachträglich einen Gefallen tun wollen: Lesen Sie Bibel einmal von vorne bis hinten. Sie können ihm keinen größeren Gefallen tun. Der Bibellesebund hat schöne Kärtchen dafür, oder Übersichten, wie man das macht.

Rudi Diezel bei seiner Verabschiedung von Bonn im Jahr 1997 © privat

Rudi Diezel bei seiner Verabschiedung von Bonn im Jahr 1997 © privat

In dieser Zeit sind auch für mich eine Menge Sachen entstanden, denn Rudi Diezel war ein begeisterter Anhänger der Evangelischen Allianz. Es ist ja gar keine Frage, das wissen wir alle, er war tief verwurzelt in seiner Kirche, in seiner Denomination, darum geht es nicht. Aber er wollte wirklich mit jedem, aber auch jedem zusammenarbeiten, der das Evangelium von Jesus Christus verkündigt. Das war hier in Nürnberg so, das hatte er mitgebracht nach Bonn, und er war ein Motor von ProChrist. Alles, was sich irgendwie anbot, was Christen zusammen machen könnten, haben wir da in Bonn aufgegriffen, und gleichzeitig hat er mir dabei geholfen.

Erst haben wir die Christliche Volkshochschule gegründet. Ich hab so schöne Fotos von Gründungsgottesdiensten in der Freien Evangelischen Gemeinde, Christliche Volkshochschule, theologischer Fernunterricht, Martin Bucer Seminar, etc. Als Spätberufener war ihm das ungeheuer wichtig, dass es Ausbildungsprogramme für Leute gibt, die zu alt sind, um sich noch einmal vier Jahre irgendwo hinzusetzen. Und daraus ist ein großes weltweites Programm geworden, das sich „Re-Forma“ nennt, in dem wir derzeit etwa 300.000 Pastoren haben, die zu „alt“ für ein Studium sind, aber sich in den Gemeindedienst berufen sahen, um an alternative Möglichkeiten der Ausbildung zu kommen. Das ist Rudi zu verdanken, der mich da immer ermutigt hat.

Was waren die zentralen Dinge bei ihm? Vertrauen auf Jesus Christus. Das ist das Zentrum der Evangelischen Allianz. Alle, die vertrauen, dass Jesus Christus ihr Schöpfer, ihr Herr, ihr Erlöser ist, weil er am Kreuz gestorben ist, die wollte er zusammenbringen – und das hat er selber so verkörpert, wie nur Wenige. Dann die Bibel, das haben wir immer wieder gehört. Das ergab sich für ihn daraus, das Buch, das uns Jesus Christus vermittelt, in dem Gott die Offenbarung in Jesus Christus schriftlich niedergelegt hat, sodass sie durch die Zeiten dableibt. Ich sprach schon davon, dass ihm dabei das Wichtigste war, dieses Buch einfach so fortlaufend zu lesen und zu predigen und zu behandeln, wie es dastand. Er war zutiefst überzeugt, dass der Heilige Geist sich etwas dabei gedacht hat. Und dass es nicht gesund für eine Gemeinde ist, wenn wir uns so die „Postkarten-Verse“ rauspicken und den Rest übersehen.

Und aus dem ergab sich die Gemeinde. Er, der Spätberufene wurde zum Inspirator und Seelsorger vieler Pastoren. Und ich denke, viele der ungewöhnlichen Ideen, die er damals auf den Weg gebracht hat und von denen viele auch in anderen Freien evangelischen Gemeinden in Deutschland heute noch in den Strukturen drin sind, haben damit zu tun, dass er eben nicht – was soll ich mal sagen, Entschuldigung, – so gewisse „Scheuklappen“ aus der Ausbildung hatte, sondern aus der Industrie kommend einfach wissen wollte, was funktioniert, damit Menschen an Jesus glauben und ihm nachfolgen.

Thomas Schirrmacher während seiner Ansprache © BQ/Thomas Schirrma-cher

Thomas Schirrmacher während seiner Ansprache © BQ/Thomas Schirrma-cher

Und last, but not least ist da natürlich die Familie. Die Familie hieß eben, sein Haus war immer offen, da in der Freien evangelischen Gemeinde. Sieglinde ist jetzt nicht unter uns, aber sie waren – ich habe das immer gesagt –, die waren nicht nur als Pastoren-Ehepaar dort angestellt, sondern auch als Familie, als lebendiges Beispiel dafür. Nicht, weil alles nur super lief oder weil alle Kinder nur furchtbar nett waren oder nie etwas Verkehrtes taten, sondern als Beispiel dafür, dass im Vertrauen auf Jesus, im Vertrauen auf die Heilige Schrift auch eine Beziehung möglich ist, die stabil genug ist, um anderen zu helfen. Und das haben ganz viele in der Seelsorge erlebt, die selbst in Familienschwierigkeiten waren – was für ein Stabilitätsfaktor das war, sich bei ihnen aussprechen, Rat und Gebet holen zu können.

Ich kann nur sagen, dass ich das Erbe von Rudi, das mir nun insofern für einen ganz großen, internationalen Bereich zu Teil geworden ist, in der Weltweiten Evangelischen Allianz fortführen möchte. Jesus im Mittelpunkt, die Bibel als der Ort, auf dem wir uns gemeinsam einigen und gemeinsam vertrauen können, und die Gemeinde, weil Jesus eben nicht nur dafür gekommen ist, dass wir theoretische Richtigkeiten in unseren Blogs verkündigen, sondern reale Gemeinschaft haben, um das Mahl des Herrn, in dem wir immer und immer wieder neu beginnen, das Zentrum unseres Glaubens, das ist eine einzige Sache: Dass Jesus für uns am Kreuz gestorben ist. Das macht Allianz aus, das macht Einheit aus. Und für die unter uns, die das noch nicht persönlich erlebt haben, kann ich nur sagen: Einer der Lieblingsverse von Rudi war, was Jesus gesagt hat: „Wer meine Worte hört und tut sie, der wird inne werden, dass sie von Gott sind.“

Sieglinde, Matthias, Peter, Claudia: Ihr habt viel Gott zu danken, dass Rudi euch den Glauben vorgelebt hat, Gemeindeleben in Folge vorgelebt hat. Wenn ich an die Zeit denke, als er in Nürnberg anfing und in Nürnberg aufhörte, jahrzehntelang, das ist viel schwerer als nur mal kurz irgendwo etwas zu machen. Wir sind bei euch in eurer Trauer, wir beten für euch, aber bitte vergesst den Dank auch nicht, in alldem, was ihr jetzt an Trauer erlebt, was Gott durch Rudi der Gemeinde, ja der ganzen Welt gegeben hat. Amen.

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