82 evangelikale Theologen aus ganz Europa trafen sich in der Lutherstadt Wittenberg
(Bonn, 04.10.2016)
„Viele biblische Themen und Fragen haben zwei Seiten, die gleichermaßen wichtig sind – ich benutze hier gerne den Begriff ‚Komplementarität‘ –, und manche theologische Diskussion in Geschichte oder Gegenwart ergibt sich nur daraus, dass die Diskussionspartner eine in der Bibel offenbarte Seite betonen und eine andere vernachlässigen und die Gegenpartei das umgekehrte tut.“
Diese Auffassung vertrat der Vorsitzende der Theologischen Kommission der Europäischen Evangelischen Allianz (und der der Weltweiten Evangelischen Allianz), Thomas Schirrmacher, in einem Plenarvortrag in der Leucorea der Universität Halle-Wittenberg. Die Leucorea ist ein Forschungsinstitut im ursprünglichen Gebäude der Universität Wittenberg.
82 evangelikale Theologen aus ganz Europa debattierten in der Lutherstadt Wittenberg fünf Tage lang über Fragen der Reformation unter dem Thema: „The Reformation – its Theology and its Legacy“. Im kommenden Jahr jährt sich zum 500. Mal der Thesenanschlag von Martin Luther (1483–1546) an der Schlosskirche in Wittenberg, der als Beginn der Reformation gilt. Veranstalter war der europäische Theologendachverband FEET (Fellowship of European Evangelical Theologians). FEET-Generalsekretär ist der baptistische Pastor Klaus Bensel (Siegen). FEET-Vorsitzender ist der Franzose Prof. Pierre Berthoud (Aix-en-Provence). Die Tagung wurde von der Europäischen Evangelischen Allianz und ihrer Theologischen Kommission und vom europäischen Zweig der World Reformed Fellowship unterstützt.
Als Beispiele für biblische Komplementaritäten zitierte Schirrmacher den Oxforder Professor Allister McGrath über Augustinus:
„Laut Augustinus muß man, wenn dem Reichtum und der Komplexität der biblischen Aussagen zu diesem Thema Gerechtigkeit widerfahren soll, zugleich an der absoluten Souveränität Gottes und an der wirklich menschlichen Freiheit und Verantwortlichkeit festhalten. Die Problematik durch eine Bestreitung der Souveränität Gottes oder der menschlichen Freiheit zu vereinfachen liefe auf eine ernsthafte Infragestellung des christlichen Verständnisses der Art und Weise hinaus, in der Gott den Menschen rechtfertigt.“ (Alister E. McGrath. Der Weg der christlichen Theologie. C. H. Beck: München, 1997. S. 436.)
Als weiteres Beispiel nannte Schirrmacher wörtlich:
„Die Geistesgaben sind also ein schönes Beispiel für die Missio Dei und die Komplementarität der Mission, die Gott selbst durchführt und in die er doch die Menschen voll hineinnimmt. Gott selbst bestimmt durch die Gaben, wer in Gemeinde und Mission welche Fähigkeiten und Aufgaben hat. Und doch wird der einzelne Christ und die Kirche als Ganzes dadurch nicht entmündigt, sondern der Geist befähigt Christen, ihre Besonderheiten und Individualität erst recht einzubringen.“
Neben dem Plenarvortrag leitete Schirrmacher auch einen Workshop über das Verhältnis der Reformatoren zum Islam und was wir daraus für heute lernen beziehungsweise nicht lernen können.
Ein Kommentar
Gott hat die komplementären Eigenschaften gerecht und gütig zu sein. Muss man nun Gott fürchten oder kann er einem nichts anhaben? Wie entgeht man dem Dilemma? Wer diese Frage stellt, stellt Gott auf die Probe. Wer nach der Bergpredigt lebt, braucht diese Frage nicht zu stellen. Nicht die Erkenntnis der Wahrheit sondern das Handeln in der Wahrheit führt zu Gott.