[Die bibliografischen Angaben finden sich jeweils am Ende eines Abschnittes.]
Der Yasukuni-Schrein
Im Rahmen meiner Forschungsarbeit zur Verherrlichung von Soldaten, Revolutionären oder Terroristen als Heilige oder Märtyrer in verschiedenen Religionen (siehe zuletzt meinen Besuch in Edinburgh-Castle) besuchte ich mehrere Schreine in Tokio, darunter den Yasukuni-Schrein im Herzen der Stadt.
Der Yasukuni-Schrein wurde 1882 als ein Zentrum des Staatsshintoismus gegründet. Der letzte staatliche Ritus in Yasukuni fand im November 1945 statt. Anwesend waren Kaiser Hirohito, der Premierminister, das gesamte Kabinett und die Spitzen von Armee und Marine. Danach beendete die sogenannte Shinto-Direktive der amerikanischen Besatzer den Staatsshintoismus. Zunächst sollte der Yasukuni-Schrein sogar ganz abgerissen werden, doch dann bestanden die Besatzer nur noch auf der völligen Privatisierung (Details bei John Breen. „A Yasukuni Genealogy“. S. 19). Wiederholte Anträge der Liberal-demokratischen Partei in späteren Jahrzehnten im Parlament, dies rückgängig zu machen, wurden von der Mehrheit abgelehnt (Details ebd. S. 20).
Im Yasukuni-Schrein werden die Angehörigen des japanischen Militärs als ‚kami‘ (= unsichtbarer Geist) verehrt, die als Angehörige der kaiserlichen Armeen und für den Kaiser seit der sog. Meiji-Restauration ab etwa 1860 bis zum Ende des 2. Weltkrieges bzw. Pazifikkrieges im Kampf gefallen sind. Die 2.466.532 Seelen der vom Yasukuni-Schrein selbst gelisteten Gefallen – die Zahl steigt immer noch langsam an – bestehen aus 2.133.915 Gefallenen des Pazifikkrieges (1941-1945), 191.250 des 2. Japanisch-Chinesischen Krieges (1937-1945) und 17.176 des 1. Japanisch-Chinesischen Krieges („Manchurian incident“) (1894-1895).
Dazu gehören auch die Kamikazeselbstmordattentäter von 1944/45 oder die Angehörigen der berüchtigten „Einheit 731“, die im Krieg in der Mandschurei (d. h. in China) Experimente mit biologischen Waffen an Kriegsgefangenen und Zivilisten durchführten. Vor allem aber gehören dazu 1.068 Angehörige der kaiserlichen Armee, die in der japanischen Entsprechung zu den Nürnberger Prozessen (‚Tokioer Kriegsverbrecher-Tribunale‘, ‚IMTFE‘) als Kriegsverbrecher verurteilt wurden, darunter 14 Verurteilte der Klasse A („Verbrechen gegen den Weltfrieden“) – was unseren ‚Hauptkriegsverbrechern‘ (z. B. Göring) entspricht.
Diese letzteren ‚kamis‘ wurden allerdings heimlich vom Schrein aufgenommen – seitdem Kaiser Hirohito 1979 davon erfuhr, hat er den Schrein nicht wieder besucht, was erstaunlicherweise auch sein Sohn Kaiser Akihito seit 1989 so gehalten hat, der ansonsten etliche Shinto-Zeremonien in Bezug auf seine Göttlichkeit wieder eingeführt hat. Das Militärmuseum des Schreins selbst bezeichnet in der Beschriftung, in seinen Broschüren und auf seiner Webseite (siehe dazu unten) die Tokioer Kriegsverbrecherprozesse als Schauprozesse.
Literatur zum Schrein
- Kalus Antoni. Der Himmlische Herrscher und sein Staat: Essays zur Stellung des Tennô im modernen Japan. München: iudicium, 1991. S. 155–166
- John Breen. „The Dead and the Living in the Land of Peace: A Sociology of the Yasukuni Shrine“. Mortality 9 (2004) 1 (Febr): 76–93.
- John Breen. „Yasukuni Shrine: Ritual and Memory“. Japan Focus vom 3.6.2005.
- John Breen. „A Yasukuni Genealogy“. S. 1-21 in: John Breen (Hg.). Yasukuni, the War Dead and the Struggle for Japan’s Past. New York: Columbia University Press, 2008.
- John Nelson. „Social Memory as Ritual Practice: Commemorating Spirits of the Military Dead at Yasukuni Shinto Shrine“. Journal of Asian Studies 62 (2003) 2: 445–467.
- Michael Pye. „Religion and Conflict in Japan with Special Reference to Shinto and Yasukuni Shrine“. Diogenes 50 (2003) 3: 45–59.
- Sven Saaler. „Ein Ersatz für den Yasukuni-Schrein? Die Diskussion um eine neue Gedenkstatte für Japans Kriegsopfer“. Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (NOAG) 175/176 (2004): 59–91.
- Mark Selden. „Japan, the United States and Yasukuni Nationalism: War, Historical Memory and the Future of the Asia Pacific“. Japan Focus vom 10.9.2008.
Yasukuni-Besuche
Auch wenn es seit 1952 allerlei Versuche gegeben hatte, dass einzelne Premierminister in der einen oder anderen Form die ‚kamis‘ in Yasukuni verehrten (eine Liste findet sich bei Ernst Lokowandt. Shinto. S. 58-64), und 1969-1974 fünfmal ein Gesetz zur Wiedererrichtung des Yasukuni-Schreines als Staatsheiligtum (vergeblich) im Parlament eingereicht wurde (Details bei Peter Fischer. „Versuche einer Wiederbelebung von Staatsreligion im heutigen Japan …“. S. 238-240), war der eigentliche Tabubruch, dass Ministerpräsident Nakasone Yasuhiro den Yasukuni-Schrein trotz der Erhebung der Hauptkriegsverbrecher im Yakusuni-Schrein 1978 zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 15.8.1985 besuchte, die Opfergabe aus der Staatskasse bezahlte und seinen Besuch zu einem offiziellen Besuch erklärte. Dieser Besuch löste allerdings im In- und Ausland so viele Proteste aus, dass sich Ähnliches sobald nicht wiederholt hat (vgl. Ernst Lokowandt. Shinto. S. 61 und Kalus Antoni. Der Himmlische Herrscher und sein Staat. S. 156).
Die schärfsten Proteste kamen nicht aus China oder Korea, sondern von den christlichen Kirchen, buddhistischen und anderen religiösen Gruppen in Japan und auch von Parteien, Gewerkschaften, Wissenschaftlervereinigungen und fast allen großen Medien Japans. Die umfangreichste Kritik stammte (und stammt) von dem dem linken Spektrum und der sogenannten liberalen Historikerschule zugehörigen Tokioer Geschichtsprofessor Takahashi Tetsuya, vor allem in seinem japanischen Buch ‚Yasukuni‘) (auf Englisch von ihm: „The National Politics of Yasukuni Shrine“. a. a. O. ; Can Philosophy Constitute Resistance? a. a. O.; über ihn siehe Kevin M. Doak. A History of Nationalism in Modern Japan. a. a. O. S. 124-125).
Der private Besuch von Premierminister Jun’ichirō Koizumi beim Yasukuni-Schrein, am 17.10.2005, hatte ein gewaltiges Medienecho in Japan (untersucht von Philipp Seaton. „Pledge Fulfilled“. S. 163ff.).
Dabei ist die japanische Gesellschaft in dieser Frage gespalten, wobei die einstige Mehrheit der Befürworter solcher Besuche soweit geschrumpft ist, dass heute mehr als die Hälfte der Japaner gegen solche Besuche sind. 1985 waren 25% der erwachsenen Japaner gegen einen solchen Besuch, 2001 waren es 34% (bzw. in einer anderen Befragung 40%). 2005 – also zum Besuch Koizumis – ergab eine Umfrage in Japan, dass 45% der Japaner gegen den Besuch des Premierministers waren, 45% dafür. 2006 war die Zahl der Gegner auf 53% angestiegen (alles nach ebd. S. 183 mit Quellenangaben).
2007 gab die Zeitung ‚Asahi‘ eine Umfrage unter Japanern in Auftrag, wie diese zum japanischen Kolonialismus in Asien stehen. Das Ergebnis: 32% meinten, dass große Reue nötig sei, 53% einige Reue, 9% wenig Reue und 2% keine Reue (ebd. S. 183).
Literatur Yasukuni-Besuche
Webseite des japanischen Premierministers zu den Yasukuni-Besuchen:
- http://www.mofa.go.jp/policy/postwar/yasukuni/index.html
- http://de.wikipedia.org/wiki/Yasukuni-Schrein
- http://en.wikipedia.org/wiki/Yasukuni_Shrine
- http://en.wikipedia.org/wiki/Controversies_surrounding_Yasukuni_Shrine
- John Breen (Hg.). Yasukuni, the War Dead and the Struggle for Japan’s Past. New York: Columbia University Press, 2008.
- John Breen. „A Yasukuni Genealogy“. a. a. O.
- Kevin M. Doak. A History of Nationalism in Modern Japan. Handbook of Oriental Studies 13. Leiden/Boston: Brill, 2007.
- Peter Fischer. „Versuche einer Wiederbelebung von Staatsreligion im heutigen Japan unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungsgeschichte des Staats-Shintō“. S. 209-247 in: Peter Schalk. Zwischen Säkularismus und Hierokratie: Studien zum Verhältnis von Religionen und Staat in Süd- und Ostasien. Stockholm: Uppsala, 2001, hier S. 234-241.
- Ernst Lokowandt. Shinto: Eine Einführung. München: Juridicium, 2001. S. 58-64 u. ö.
- Philipp Seaton. „Pledge Fulfilled: Prime Minister Koizumi, Yasukuni and the Japanese Media“. S. 163-188 in: John Breen (Hg.). Yasukuni, the War Dead and the Struggle for Japan’s Past. New York: Columbia University Press, 2008.
- William Daniel Sturgeon. Japan’s Yasukuni Shrine: Place of Peace or Place of Conflict? Regional Politics of History and Memory in East Asia. Dissertation.com, August 2009.
- Takahashi Tetsuya. Can Philosophy Constitute Resistance? Tokio: UTCP, 2008.
- Takahashi Tetsuya. „The National Politics of Yasukuni Shrine“. S. 155–180 in: Philip A. Seaton. Japan’s Contested War Memories. London: Routledge, 2007 (also chapter 7 in his book „Can Philosophy Constitute Resistance?“ Tokio: UTCP, 2008, and elsewhere in the web).
Der Tenno als oberster Priester des Shinto
Der japanische Kaiser ist „Symbol des Staates und der Einheit des Japanischen Volkes“. ‚Tenno‘ bedeutet eigentlich ‚der vom Himmel (kommende) Herrscher‘. 1945 hat aber Kaiser Hirohito den Anspruch der Göttlichkeit (‚Arahitogami‘) abgelegt.
„Der Tenno ist auch weiterhin oberster Priester des Shinto. Auf dem Palastgelände gibt es unverändert die ‚3 Schreine des Kaiserhofs‘ … in der … die Sonnengöttin, die kaiserlichen Ahnen sowie alle Götter verehrt werden. … Dort finden auch jährlich ca. 20 Shinto-Zeremonien unter Teilnahme des Tenno statt, von denen er die wichtigsten selbst durchführt. Zumindest an einem von diesen, dem niina-mesai, dem Erntedankfest, nehmen auch die Spitzen des Staates teil: der Ministerpräsident, die Präsidenten des Unter- und Oberhauses und der Präsident des Obersten Gerichtshofes.“ (Ernst Lokowandt. Shinto. S. 46).
„Zu Beginn des Jahres 1989 starb der Showa Kaiser (offizielle Bezeichnung). 1990 wurde als Höhepunkt der Krönungsriten das Daijosai (Großes Festangebot) im Schrein des kaiserlichen Palastes durchgeführt. Während dieses Ritus wurde der neue Kaiser eins mit Amaterasu Omikami, dem mythischen Schöpfergott von Japan, was ihn in den Status eines göttlichen Lebewesens erhob.“ (Yoshiaki Yui. „Kehrt der Kaiserkult zurück?“. S. 1 bzw. 158; vgl. Kalus Antoni. Der Himmlische Herrscher und sein Staat. S. 11). „Die Zeremonien anläßlich des Thronwechsels waren alle mehr oder minder stark religiösen Charakters.“
Zentral dabei ist die Zeremonie in der der Tenno mit der Sonnengöttin eins und dadurch erst wirklich zum Tenno wird (Ernst Lokowandt. Shinto. S. 47).
Diese Zeremonie stand in einer langen Reihe von Zeremonien im Kaiserhaus, die im Stile der Meji-Zeit vor 1945 gefeiert wurden, vor allem das Begräbnis der Kaiserinnenmutter 1951, die Volljährigkeitszeremonie des Kronprinzen 1952 und seine Hochzeit 1959. Bereits am 2.5.1952, vier Tage nach Erlangen der Unabhängigkeit, wurden die toten Japaner des 2. Weltkrieges im Beisein des Tenno durch eine Shintozeremonie geehrt (Details bei Peter Fischer. „Versuche einer Wiederbelebung von Staatsreligion im heutigen Japan …“. S. 238-240).
Literatur zum ‚himmlischen‘ Kaiser
- Kalus Antoni. Der Himmlische Herrscher und sein Staat. a. a. O.
- Peter Fischer. „Versuche einer Wiederbelebung von Staatsreligion im heutigen Japan …“. a. a. O. S. 216–234.
- Christoph Kleine. „Religion im Dienste einer ethnisch-nationalen Identitätskonstruktion: Erörtert am Beispiel der ‚Deutschen Christen‘ und des japanischen Shintō“. Marburg Journal of Religion 7 (2002) 1 (sept): 1-17.
- Yoshiaki Yui. „Kehrt der Kaiserkult zurück? Zur aktuellen Lage der Religionsfreiheit in Japan“. Querschnitte 15 (2002) 5: 1-4; wieder abgedruckt in Max Klingberg u. a. (Hg.). Märtyrer 2003: Das Jahrbuch zur Christenverfolgung heute. Bonn: VKW, 2003. S. 158–161.
Aus der japanischen Verfassung:
Artikel 20 der japanischen Verfassung von 1947 lautet:
„Jedermann ist die Freiheit des religiösen Bekenntnisses gewährleistet. Keine religiöse Gemeinschaft darf vom Staat mit Sonderrechten ausgestattet werden oder politische Macht ausüben. Niemand darf gezwungen werden, an religiösen Handlungen, Festen, Feiern oder Veranstaltungen teilzunehmen. Der Staat und seine Organe haben sich der religiösen Erziehung und jeder anderen Art religiöser Betätigung zu enthalten.“ (Übersetzung: Ernst Lokowandt. Shinto. S. 57)
Artikel 89:
„Öffentliche Geldmittel und anderes öffentliches Vermögen dürfen zur Verwendung durch religiöse Unternehmungen oder Vereinigungen, zu deren Gunsten oder Erhaltung, sowie für mildtätige, bildende oder wohltätige Werke, die nicht der öffentlichen Aufsicht unterstehen, weder ausgegeben noch zur Verfügung gestellt werden.“ (Übersetzung: Ernst Lokowandt. Shinto. S. 57)
Christen gegen einen staatlichen Yasukunikult
Es wurde schon erwähnt, dass der Widerstand der Christen ein wesentlicher Faktor war, dass der staatliche Yasukunikult nicht wieder auflebte, erstaunlich, da die fast 2 Mio. Christen nur 1,54 % der Einwohner Japans ausmachen (davon grob gesagt je ein Viertel Katholiken, Protestanten, unabhängige Protestanten und Sondergruppen).
Interessant ist dabei die Haltung der katholischen Kirche. Während zwei Päpste 1951 und 1980 verlauten ließen (1980 immerhin im Rahmen eines Papstbesuches in Japan), dass Katholiken in Yasukuni beten und den Toten den Respekt erweisen könnten, so lange sie nicht die Toten verehrten oder anbeteten, verwarf die (katholische) Japanische Bischofskonferenz jeden Besuch in Yasukuni und gehörte zu den schärfsten Kritikern der Besucher politischer Prominenz im Yasukuni-Schrein (siehe John Breen. „Popes, Bishops and War Criminals“; vgl. den Aufsatz eines katholischen Amerikaners Kevin Doak. „A Religious Perspective on the Yasukuni Shrine Controversy“, der viel Verständnis für die Totenverehrung und für die Kritik an den Kriegsverbrecherprozessen zeigt.)
Literatur Katholische Kirche und Yasukuni-Schrein
- John Breen. „Popes, Bishops and War Criminals: Reflections on Catholics and Yasukuni in post-war Japan“. Japan Focus vom 3.6.2005,1.3.2010.
- Kevin Doak. „A Religious Perspective on the Yasukuni Shrine Controversy“. S. 47-69 in: John Breen (Hg.). Yasukuni, the War Dead and the Struggle for Japan’s Past. New York: Columbia University Press, 2008
Das Yushukan-Museum des Sayukuin-Schreins
Das 13 Jahre nach Gründung des Yasukuni-Schreins 1882 gegründete und bis 2002 aufwendig ausgebaute, renovierte und teilweise mit englischer Beschriftung versehene Yushukan-Museum bezeichnet sich selbst als das erste und größte japanische Militärmuseum. Wenn auch privat vom Yasukuni-Schrein unterhalten, muss man doch sehen, dass es keine staatliche Entsprechung in Tokio gibt und dass Yushukan große und einzigartige Exponate enthält, wie sie nur die Regierung oder das Militär zur Verfügung stellen kann, wie etwa ein originales Einmann-Kamikaze-U-Boot oder ein raketenbetriebenes Kamikaze-Flugzeug, beide Ende 1944 hergestellt – fast alle produzierten Exemplare wurden ja bei Angriffen zerstört.
Im Yushukan-Museum wird das Selbstopfer für Kaiser und Vaterland als sakrales Opfer dargestellt. Das macht die beeindruckende offizielle Webseite in ihrer englischen Version ebenso deutlich wie die englische Übersetzung des offiziellen Führers (Records in Pictures of Yasukuni Jinja Yushukan. Tokio: Yasukuni Shrine, 2009) – dass die japanischen Versionen noch viel eindeutiger sein sollen, kann ich aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht überprüfen.
Zu den Selbstmordangriffen siehe besonders S. 66-7 [„Special Attack Corps (October 1944-August 1945)“], die Bilder mit Unterschrift S. 73 (raketenbetriebenes Kleinflugzeug für Selbstmordattentate, 1. ausgeliefert September 1944) und S. 83 (Ein-Mann-Selbstmord-U-Boot seit Nov 1944).
Die Ausrichtung der ganzen Anlage kommt in einer Bronzetafel zum Ausdruck, die 2005 zum 40. Jahrestages des Angriffs auf Pearl Harbor enthüllt wurde:
„Fast sechstausend Männer starben bei Selbstmordangriffen, deren tragischer Heldenmut kein Beispiel kennt und der die Herzen unserer Feinde vor Angst erstarren ließ. Die ganze Nation hat angesichts ihrer unerschütterlichen Treue und ihrer Selbstaufopferung Tränen der Dankbarkeit vergossen.“
Ein Schild neben der Bronzestatue eines Kamikazekämpfers neben dem Eingang aus demselben Anlass geweiht, übersetzt John Breen wie folgt (hier unter Auslassung der Auflistung, wie viele Soldaten zu welcher Einheit gehörten):
„In the last stage of the Greater East Asia War when the war situation increasingly worsened, a total of 5,843 men in the Army and Navy gave their lives by bravely plunging into enemy warships and making other types of attacks. These men who became the cornerstone of today’s prosperity included: … These utterly pure and noble spirits who gave their lives for our country should be honored and remembered equally by our nation, and their stories should forever be passed on to future generations.
June 28, 2005 Tokkotai Commemoration Peace Memorial Association“
Und immer noch im Hof zwischen Yasukuni-Schrein und Yushukan-Museum wurde 2005 noch ein drittes Monument für den indischen Richter Radha Binod Pal aufgestellt, der gegen die Verurteilungen der Tokioer Kriegsverbrecherprozesse stimmte. (Die anderen Richter kamen aus Australien, China, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Neuseeland, Niederlande, Philippinen, Sowjetunion und USA.)
Im Museum nehmen die Selbstmordanschläge nur einen kleinen Teil ein. Viel problematischer ist die Gesamtausrichtung, denn das Museum gibt die Sichtweise nationalistischer Kreise wieder, die keine Kriegsschuld Japans akzeptieren. So heißt es auf der Webseite:
„Japans Traum eines Großostasiens wurde von der Geschichte nötig gemacht und von den Ländern Asiens erwünscht.“ („Japan’s dream of building a Great East Asia was necessitated by history and it was sought after by the countries of Asia.“) (aus dem Japanischen von John Breen).
Kolonialismus und Pazifikkrieg fanden laut der Informationstafeln im Museum nur auf Wunsch der anderen asiatischen Länder oder zu deren oder Japans Schutz und Verteidigung statt. Der Gegner oder Feind kommt praktisch überhaupt nicht vor (so auch John Breen. „Yasukuni Shrine: Ritual and Memory“), ein für ein Militärmuseum merkwürdiger Vorgang. Nirgends wird darauf hingewiesen, dass auch Nichtjapaner starben, welche Maßnahmen der Gegner ergriff oder wie es den Zivilisten etwa in Korea erging.
Im Buchshop des Museums kann man viele Devotionalien kaufen, die das Opfer für den Kaiser thematisieren oder die Selbstmordkommandos heroisieren. So können Kinder Kamikazeflieger als Schlüsselanhänger und in vielen anderen Formen kaufen.
Webseiten Yushukan & Kamikaze
- John Breen. „Yasukuni Shrine: Ritual and Memory“. Japan Focus vom 3.6.2005, http://japanfocus.org/-John-Breen/2060 oder http://hnn.us/articles/12297.html
- http://de.wikipedia.org/wiki/Pazifikkrieg (Abschnitt 7.2.1)
- http://en.wikipedia.org/wiki/Yūshūkan
- http://wgordon.web.wesleyan.edu/kamikaze/museums/yushukan/index.htm (zuletzt Stand 19.4.2008)
- http://wgordon.web.wesleyan.edu/kamikaze/index.htm
- Amerikanische und japanische Sichtweise zu Kamikaze.
Staatsshintoismus
Verstehen kann man all das nur, wenn man sich mit dem Staatsshintoismus beschäftigt, der bis 1945 verbindlich war, seitdem aber als Staatsaktivität verboten ist. Einflussreiche Shintoschreine wollen seine einstige Bedeutung ebenso zurückgewinnen wie einzelne politische Kräfte.
„Man wird den Shinto als eine Mischung von viel Natur- mit etwas Ahnenkult charakterisieren können, beides angereichert mit einer starken politischen Komponente. Das ist zwar eine starke Vereinfachung, im Kern aber zutreffend …“ (Ernst Lokowandt. Shinto. S. 12). Zentral dabei ist die hohe Zahl der verehrten Götter und Geister. „Die fast unbegrenzte Vermehrung der Götter ist ein hervorstechender Zug des Shinto; man ist sogar so weit gegangen, in ihr das Wesen der Religion der Kami zu erblicken.“ (Edmond Rochedieu. Der Schintoismus. S. 69).
Dabei spielt „Der Heldenkult“ (ebd. S. 80-82) eine zentrale Rolle.
Der staatliche Shintoismus wurde eingerichtet, um Patriotismus und Loyalität gegenüber der japanischen Nation zu erzeugen. Er war ein genialer Schachzug (so etwa Ernst Lokowandt. Shinto. S. 54-55). Man trennte die Religionen von dem (vermeintlich) areligiösen Shintokult als Staatskult und konnte dadurch von allen eine Erfüllung der shintoistischen Pflichten erwarten ohne ihre Religion anzutasten. Dass viele Christen, Buddhisten und andere in Japan (oder etwa in Korea) das ganz anders sahen, war allerdings nicht verwunderlich.
„Der Widerspruch zwischen Religionsfreiheit und dem Anspruch auf kultische Verehrung des himmlischen Herrschers, die Teilnahme an obligatorischen Shintō-Zeremonien, sowie die schulische Unterweisung in der Shintō-Mythologie löste man auf recht eigentümliche Weise. Man erklärte den Shintō gleichsam zur Nicht-Religion und überführte ihn in einen areligiösen Staats-, National- und Volkskult. Beteiligung an diesem Kult war für jeden Japaner eine natürliche Pflicht jenseits aller Bekenntnisfragen. So konnte die religiös legitimierte Herrschaft des göttlichen Kaisers im Rahmen eines zunehmend biologistisch aufgefaßten Familienstaates ohne Verletzung der Glaubensfreiheit gerechtfertigt werden. Der himmlische Herrscher galt als Kopf des Staatsorganismus, dem die natürliche Führung über die Glieder und Organe dieses Organismus zukam.“ (Christoph Kleine. „Religion im Dienste einer ethnisch-nationalen Identitätskonstruktion …“. S. 13)
Literatur Shintoismus allgemein
- Peter Fischer. „Versuche einer Wiederbelebung von Staatsreligion im heutigen Japan …“. a. a. O.
- Hirose Kazutoshi. Beruf: Shinto-Priester. Tokio: OAG, 1997.
- Ernst Lokowandt. Shinto. a. a. O.
- Edmond Rochedieu. Der Schintoismus und die neuen Religionen Japans. Die großen Religionen der Welt. Genf: Edito-Service S. A., 1973.
Selbstmordattentäter
„Im Jahr 1944, als sich die Niederlage des Japanischen Kaiserreiches im Zweiten Weltkrieg abzuzeichnen begann, setzte die japanische Armeeführung Geschwader von fliegenden Selbstmördern ein, die ihre Maschinen in amerikanische Kriegsschiffe stürzten. Die lebendige Rückkehr eines Piloten galt als unehrenhaft. Es kann von einer systematischen Institutionalisierung des Selbstmordes als Kriegswaffe gesprochen werden. Obwohl der Einsatz von ‚Kamikaze-Fliegern‘ den Vormarsch der amerikanischen Truppen nicht effektiv stoppen konnte, hatte er großen Einfluss auf deren Kampfmoral.“ (Volker Trusheim. Selbstmordattentäter“).
Das japanische Wissen, das aus den Selbstmordattentaten der Kamikazekämpfer gewonnen wurde, lebte in gewissen Kreisen in Japan und insbesondere in Nordkorea fort und wurde im Selbstmordanschlag der Terrororganisation ‚Japanische Rote Armee‘ zugunsten der Palästinenser erstmals am 30. Mai 1972 auf dem israelischen Flughafen Lod durch ein verheerendes Blutbad an Zivilisten wieder in die Tat umgesetzt (Joseph Croitoru. Der Märtyrer als Waffe. S. 73-75). In der arabischen Welt gab es Bestürzung, dass Nichtmuslime mutiger gegen den Feind vorgingen und Arafat und die Palästinenser ließen sich von Asiaten, die über historisches Wissen zu Selbstmordattentaten verfügten, informieren.
Literatur Erbe der japanischen Selbstmordattentäter
- Joseph Croitoru. Der Märtyrer als Waffe: Die historischen Wurzeln des Selbstmordattentats. München: Carl Hanser 2003.
- Christoph Reuter. Mein Leben ist eine Waffe: Selbstmordattentäter. Gütersloh: C. Bertelsmann, 2002.
- Joseph Croitoru. „Qantara.de – Selbstmordattentate ursprünglich nicht islamistisch“. 3.3.2004.
- Volker Trusheim. „Selbstmordattentäter“. (Artikel vom 27.8.2007)
Schlussbemerkung
Man verstehe diesen Beitrag bitte nicht als kulturell unsensible Japanschelte. Aus der Asche des Kriegsverlierers Japan entstand wie in Deutschland eine funktionierende Demokratie. Wenn etwas an dem zuvor Beschriebenen erstaunlich ist, dann nicht, dass die Japaner ihre Kriegstoten ehren – wie fast jedes Volk – und dazu die traditionellen Wege benutzen, sondern vielmehr, dass eine naheliegende Rückkehr der Vorkriegskulte nie wirklich geschehen ist und die breite Bevölkerung die Religionsfreiheit der japanischen Verfassung will und schützt und einer Rückkehr einer National- oder Staatsreligion die Unterstützung verweigert.
Auch gibt es keine ‚Kamikaze‘-Mentalität der Japaner, wie auch andere kulturelle Stereotype über Japaner, die bei uns in Umlauf sind und gerade nach der Flutkatastrophe und dem Reaktorunfall in Fukushima leider täglich ‚nachgebetet‘ wurden, mit dem realen Japan nichts zu tun haben, wie der Ethnologe und Japanologe Till Philip Koltermann in einem ausgezeichneten Essay deutlich gemacht hat.
- Till Philip Koltermann. „Das deutsche Japanbild: Klischees oder Nächstenliebe“. evangelisch.de vom 23.3.2011.
- Katja Triplett. „‚Religionsfreiheit‘ und die religiöse Vielfalt Japans“. S. 256-259 in: Christoph Elsas (Hg.). Interreligiöse Verständigung zur Glaubensverbreitung und Religionswechsel. Berlin: EBVerlag, 2010.
5 Kommentare
[…] Zwar gibt es immer noch Ausnahmen. So sieht sich der japanische Kaiser immer noch als Sohn einer Göttin, aber politisch ist er einflusslos und die Religionsfreiheit in Japan gilt als sehr hoch. (Siehe dazu den Abschnitt „Der Tenno als oberster Priester des Shinto“ samt Literaturangaben in meinen Beitrag „Der japanische Yasukunikult“.) […]
schade dass es keine deutschsprachige literaturüber japan im wk 2 gibt-uniformen eqipment ect
mfg.p.brunner
[…] Nach sieben Jahren ist es wieder einmal soweit. Der japanische Premierminister hat unter Protest der USA, Chinas und Koreas den schintoistischen Yasukini-Schrein besucht, in dem neben den toten japanischen Soldaten des Zweiten Weltkrieges ausdrücklich auch verurteilte Kriegsverbrecher göttlich verehrt werden. Aus diesem Grund verweise ich auf meinen ausführlichen Fotobericht: Der japanische Yasukunikult – Soldaten als Märtyrer? […]
[…] zur religiösen Märtyrer-Verehrung von im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten in Edinburgh und Tokio. Auf meinen Reisen stoße ich immer wieder auf ähnliche Phänomene, so jüngst beim Antrittsbesuch […]
This only remember us to Deutsche Kathedral with their abusive use from Gospel of John 15:13, in order to honour the cruel policy of war from fortunately past German Emperors. That same verse was used and abused by corrupted lutheran pfarrer during Kaiser’s years. There are military posters from that age, with that sacred Bible text printed.