Vorschlag eines interreligiösen Ethik-Kodex für Mission

Diese Meldung stammt ursprünglich aus dem Jahr 2016 und ist bisher nicht in meinem Blog erschienen.

(Bonn, 01.08.2016) Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, erklärte nach Medienberichten gegenüber der Nachrichtenagentur Anadolu:

„Die Glaubensfreiheit ist ein Grundrecht. Aber die Kirchen sollten es unterlassen, Flüchtlinge in dieser Richtung zu beeinflussen. […] Wir erwarten von den Kirchen, dass sie von aggressiver Missionsarbeit absehen, so wie wir das auch von den Muslimen erwarten.“ [Quelle z. B. hier, Auslassung im Original]

Dazu verfassten der katholische Theologe Prof. Dr. Christian Troll und der evangelische Theologe Prof. Dr. Thomas Schirrmacher folgenden offenen Brief an Aiman Mazyek:

Lieber Herr Mazyek,

Wir kennen uns als gemeinsame Streiter für die Glaubensfreiheit in Deutschland, für Christen wie für Muslime. Wir Unterzeichner setzen uns für die Freiheit aller Religionen und Weltanschauungen ein, wie sie unsere Verfassung und die freiheitlich-demokratische Grundordnung unwiderruflich definieren. Das schließt natürlich ein, dass auch Muslime ihren Glauben in Deutschland im Rahmen der Gesetze frei ausleben dürfen, was den Bau von Moscheen einschließt. Sie sagen es ja deutlich: „Die Glaubensfreiheit ist ein Grundrecht.“

Zugleich sind wir Unterzeichner aber auch für ‚Mission‘, das heißt, dass jeder Bürger seine Religion und Weltanschauung öffentlich verbreiten und anderen Mitbürgern empfehlen und mit ihnen darüber frei und ungehindert diskutieren darf, und zwar friedlich, respektvoll, unter Beachtung aller anderen Menschenrechte und ohne Ausnutzung von Abhängigkeiten. Deswegen treten wir für das Recht der Mission für Muslime und Christen, Humanisten und Atheisten, Zeugen Jehovas und Bahai und für alle anderen ein. Da Sie selbst ja immer wieder werbend für Ihren Glauben eintreten, ist offenbar auch für sie ‚Mission‘ ein Bestandteil der Religionsfreiheit. Und Sie verwerfen ja nur „aggressive“ Mission, wohl nicht Mission an sich.

Nun warnen Sie vor „aggressiver“ Mission, wenn Sie richtig zitiert wurden. Hier müssten Sie dann aber konkrete Beispiele nennen, wodurch denn die grundrechtlich abgesicherte, friedliche Mission zur aggressiven Mission wird. Wir würden Ihnen zustimmen, etwa wenn es Mission durch Gewalt, Drohung, Bestechung, Anbieten von Vergünstigungen usw. geht, nur müsste dann nicht nur gezeigt werden, dass das vorkommt, sondern dass es so häufig vorkommt, dass es ‚typisch‘ für die Kirchen ist, nicht ein gelegentlicher Verstoß gegen das, was die Kirchen offensichtlich vertreten. Immerhin hat 2011 die Weltchristenheit im Ethikkodex „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ solcher Art Mission eindeutig verworfen und alle Kirchen Deutschlands haben das Dokument 2014 in einer Konsultation in Berlin angenommen.

Dürfen wir einen Vorschlag machen, da es schade ist, dass es einen solchen Ethikkodex nur einseitig von einer Religion und für eine Religion gibt? In Norwegen haben sich alle Religionen und Weltanschauungen, auch Muslime und Christen, auf einen gemeinsamen Kodex der friedlichen Mission geeinigt, die sogenannte „Oslo Koalition – Empfohlene Grundregeln für missionarische Aktivitäten“. Ich, Thomas Schirrmacher, war frühzeitig als Experte an der Entwicklung beteiligt, der norwegische Staat hat den ganzen Prozess finanziert, die Universität Oslo hatte moderierende Funktion, aber am Ende haben die Religionsgemeinschaften und die nichtreligiösen Verbände jeder für sich unabhängig entschieden, den gemeinsam erarbeiteten Text auch anzunehmen.

Wir würden sehr begrüßen, wenn auch für Deutschland ein solches Dokument auf den Weg gebracht würde.

Etwas ganz Anderes ist es, wenn Kirchen diskutieren, inwieweit sie im Bereich diakonischer Aktivitäten darauf verzichten, gleichzeitig Mission zu betreiben. Denn das ist ein freiwilliger Verzicht, keiner, der menschenrechtlich geboten ist oder den andere von ihnen einklagen könnten. Dieser Verzicht kann sinnvoll sein, das ist aber – das lehrt Jahrzehnte der Erfahrung weltweit – manchmal leichter gesagt als getan, etwa wenn die Empfänger von Hilfeleistungen wissen wollen, wer dahinter steckt, oder gar, was die Motivation für die Hilfe ist. Aber es ist ein Verzicht aus religiösen Gründen, nichts, was sich rechtlich zwingend ergibt. (Der Verzicht auf Mission ist natürlich geboten, wenn man staatliche Gelder einsetzt, die daran gebunden sind, dass man keine Werbung für eine Religion oder Weltanschauung betreibt.)

Sie verweisen auf das Beispiel der Taufen vieler Iraner in Hamburg. Dort sind es aber nicht „die Kirchen“, sondern ein Pastor einer freikirchlichen Gemeinde, der selbst Migrant aus dem Iran ist, eine persische Gemeinde leitet und es nun als seine Aufgabe sieht, Menschen aus seinem früheren Heimatland den christlichen Glauben zu bezeugen und sie einzuladen, Christen zu werden, obwohl auch das – soweit wir informiert sind– nicht „aggressiv“ geschieht und zu Beschwerden der Konvertiten oder von solchen, die missioniert wurden, geführt hätte. Aber von den „Kirchen“ zu verlangen, dies solle gestoppt werden, wendet sich an die falsche Adresse. Das wäre so, als würde man von Ihnen verlangen, den Konvertiten Pierre Vogel zu stoppen (den politischen Aspekt, der hier dazu kommt, lassen wir einmal außen vor), der wohl kaum auf Sie hören wird. In Deutschland genießen grundsätzlich auch alle Zuwanderer die Freiheit, Kirchen nach eigener Vorstellung zu gründen und frei zu missionieren – Afrikaner, Iraner, Koreaner oder wer auch immer. Diese Freiheit haben andere Kirchen zugunsten einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft zu schützen. Bisweilen kann man kooperieren oder im Gespräch sein, irgendeine Weisungsbefugnis haben die etablierten Kirchen hier nicht.

Wir hoffen, Sie führen die in jüngster Zeit zunehmenden Übertritte von Muslimen zum Christentum – vor allem unter iranischen Einwanderern – nicht ausschließlich auf aggressives Verhalten und auf unlautere Mission von Christen zurück, als ob es nicht vorkäme, dass ein Mensch in freier Entscheidung sein Recht wahrnimmt, seine innerste religiöse oder nichtreligiöse Überzeugung selbst zu bestimmen. Zudem lässt sich von einer Religion nur der abwerben, der sich innerlich bereits von seiner Ursprungsreligion oder Ursprungsweltanschauung verabschiedet hat. Man kann einen überzeugten Christen oder einen überzeugten Muslim oder einen überzeugten Atheisten nicht mit ein paar Parolen und etwas Aggressivität dazu bewegen, seine Überzeugung aufzugeben.

Wir glauben im Übrigen, dass die Übertritte von Muslimen aus dem Iran zum Christentum viel mit der Lage im Iran und kaum etwas mit der Situation in Deutschland zu tun haben. Echte Freiheit und weniger staatliche Gewalt im Iran würde die Zahl der Übertritte vermutlich sofort reduzieren.

Jedes Jahr treten auch Christen in Deutschland zum Islam über. Auch das ist ja nicht einfach mit aggressiver Mission zu erklären, also dass die Menschen nur deshalb wechseln, weil sie bedrängt wurden.

Wir gestehen als Christen jedem Menschen zu, die Kirche bzw. den christlichen Glauben zu verlassen, wenn er ihn nicht mehr überzeugt – wohin immer er sich dann stattdessen orientiert. Das gilt ausdrücklich auch für die erwachsen werdenden Kinder christlicher Eltern. Das soll und muss ohne bürgerliche Konsequenzen möglich sein, auch wenn man es persönlich bedauert.

Länder, die ihren Bürgern massiv vorschreiben, was sie zu glauben haben, und Gewalt zum Schutz einer Religion einsetzen, sind im Regelfall sehr unfreie Länder, in denen es gerade nicht Ruhe und Frieden an der ‚Religionsfront‘ gibt, sondern große Spannungen. Und es sind nicht zufällig diese Länder, die auch die gewaltbereiten terroristischen Bewegungen hervorbringen, die die Mission als Begründung instrumentalisieren.

Ihre

Prof. Dr. Thomas Schirrmacher, Bonn

Prof. Dr. Christian W. Troll, SJ, Frankfurt

 

 

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