Prof. Dr. Dr. Schirrmacher erklärte, wie eine multikulturelle Gesellschaft funktionieren kann

Bericht aus der Frankfurter Neuen Presse – Naussauische Neue Presse vom 1.6.2011

Originalbericht hier.

Von Gundula Stegemann

Ist “multikulti” gescheitert? Ist Deutschland überhaupt multikultifähig? Einen spannenden Vortrag über Entstehung, Chancen und Risiken einer multikulturellen Gesellschaft in Deutschland erlebten die Besucher in der Freien evangelischen Gemeinde (FeG) in der Domäne Blumenrod.

Limburg. Thomas Schirrmacher sprach bei der FeG. Foto: StegemannÜber Jahrzehnte hinweg sei die Problematik der Einwanderung nach Deutschland verdrängt worden. Von Schmidt bis Schröder habe es stets geheißen, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Erst unter der Regierung von Angela Merkel habe Wolfgang Schäuble Deutschland erstmals als Einwanderungsland bezeichnet. “Der Christ und Multikulti” hieß das Thema, über das Prof. Dr. Dr. Thomas Schirrmacher, Sprecher für Menschenrechte der Evangelischen Allianz und Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit in Bonn, Kapstadt, Colombo, im Rahmen des FeG-Forums sprach.

Schirrmacher beleuchtete das Thema umfassend aus verschiedenen Blickwinkeln, ohne zu polarisieren. Er skizzierte in einem kurzen Abriss, wie sich die Einwanderung nach Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg gestaltete. So habe der Aufschwung in der Nachkriegszeit dazu geführt, dass die Deutschen in höher qualifizierte, lukrative Berufe strömten, so dass Arbeitsplätze in Bergwerken, Stahlindustrie, Müllabfuhr und dergleichen unbesetzt blieben. Aus diesem Grund seien Gastarbeiter ins Land gerufen worden. Doch im Laufe der Zeit lösten sich ganze Industriezweige und viele Arbeitsplätze in Luft auf. Die Gastarbeiter wurden arbeitslos, ihre Situation wurde schwieriger, aber die meisten gingen nicht zurück in ihre Heimatländer. Viele Jahre verstrichen, ohne dass Politiker die Situation erkannt und gehandelt hätten.

Gastfreundschaft spiele zum Beispiel bei Muslimen eine große Rolle, sagte Schirrmacher. Eine Umfrage habe ergeben, dass der größte Wunsch vieler Muslime nicht mehr Geld oder materielle Güter seien, sondern der, einmal von einer deutschen Familie eingeladen zu werden. Dies brächte vieles in Bewegung. Auch er lade Muslime zu sich ein, sagte Schirrmacher. Ihre Lieblingsthemen seien die gleichen wie die von Christen: ihr Gott und ihre Familie. Sein Rat: „Steigen Sie bei einem Muslimen ins Taxi und fragen Sie ihn“:  Dies sei ein guter Einstieg, um ins Gespräch zu kommen. Bei einem deutschen Taxifahrer riet er davon ab; „der setzt Sie sonst am Krankenhaus ab“, sagte er.

Religion und Staat

“Wie unsere Gesellschaft in 50 Jahren aussehen wird, wird nichts mehr entscheiden als die Frage, wie Christentum und Islam sich entwickeln”, sagte Schirrmacher. Derzeit bezeichneten sich mehr als 50 Millionen Menschen in Deutschland als Christen. Man schätze, dass rund sechs Millionen Menschen in Deutschland sich gegenwärtig zum Islam bekennen. Davon neigten etwa fünf Prozent dazu, die Ausbreitung des Islam mit Gewalt zu tolerieren. Schirrmacher sagte, er lege großen Wert auf eine differenzierte Betrachtung: Es gebe verschiedene Spielarten des Islam. Ein zentrales Problem sei, dass christlicher Glaube und Islam sich im Verhältnis der Religion zum Staat unterschieden, der Islam keine wirkliche Trennung kenne und religiöse Angelegenheiten über staatliche stelle.

Wichtig sei, dass die Kinder aus Migrantenfamilien Deutsch lernten. Anhand verschiedener Beispiele zeigte er auf, dass dieser status quo durchaus nicht festgeschrieben ist, sondern – wie alles – einer Entwicklung unterliege. Bei der Bewältigung der Probleme habe Deutschland jedenfalls so gute Karten wie kein anderes Land. „Wenn wir es nicht in den Griff bekommen, haben die anderen gar keine Chance”, sagte er. “Denn wir haben keine Einwanderer, mit denen wir traditionell im Krieg stehen, standen oder die mit uns aus der Kolonialzeit oder sonstigen Gründen noch eine Rechnung offen hätten.“ Außerdem habe Deutschland bereits nach dem Zweiten Weltkrieg bewiesen, dass es Integration bis zur Meisterschaft perfektioniert habe bei der Aufnahme der Vertriebenen und Flüchtlinge. steg

 

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