Zahlreich sind die Nachrufe weltweit für mein Vorbild und meinen Lehrer als Religionssoziologe, Peter L. Berger (17.03.1929–27.06.2017) [z. B. hier].
Schon lange habe ich Berger auf meinem Blog unter den Fotos in der Rubrik „Vorbilder“ mit dem Untertitel: „Zwei Religionssoziologen im Gespräch in Istanbul, April 2009: ‚Der vielleicht bedeudendste Vertreter meines Faches, Prof. Peter Berger, Boston‘“
Berger war seit 1981 Professor für Soziologie und Theologie an der Boston University, und dort von 1985 bis 2010 Direktor des Institute on Culture, Religion and World Affairs CURA (so der heutige Name), das in einem für US-Unis untypischen wunderschönen Fachwerkhaus beheimatet ist (siehe Foto).
Er schrieb spannend, humorvoll und immer mit konkreten Beispielen. Hinzu kam sein unerschöpfliches Fachwissen, aber auch sein ungeheures Allgemeinwissen. Seine Texte waren auch außerhalb des Faches weithin verständlich und haben dadurch etliche heutige Soziologen und Religionssoziologen überhaupt erst an die Fächer herangeführt. Der Wiener Pastoraltheologe und Religionssoziologe Paul M. Zulehner schreibt in seinem Nachruf, den ich für den besten von allen halte:
„Peter Bergers Bücher zu lesen, war immer ein Vergnügen – ob seine Einladung zur Soziologie (Invitation to Sociology, 1963) oder Auf den Spuren der Engel (A rumor of angels, 1970). Nie hat er so geschrieben, dass man den Sinn eines seiner Texte erst beim zweiten Lesen erahnte. Ein anderer meiner großen Lehrer Karl Rahner sagte einmal am Ende seines Lebens: ‚Wenn man etwas verstanden hat, kann man es auch einfach sagen.‘ Peter konnte das nicht erst am Ende seines Lebens.“
Er war immer offen für neue Sichtweisen und hörte jedem außerhalb der offiziellen Lager zu. Er dachte nämlich „außerhalb der Box“ (um eine von ihm geliebte amerikanische Redewendung einzudeutschen) und hatte deswegen beim Zuhören kaum Vorurteile über den, dem er zuhörte.
Trotz dieser Unabhängigkeit war ihm stets bewusst, dass auch er nur Produkt seiner Gesellschaft und Zeit war. Er machte zudem nie einen Hehl daraus, dass er letztlich auf den Schultern von Max Weber stand.
Berger war dafür verantwortlich, dass in das stark säkular, wenn nicht gar bisweilen atheistisch geprägte Fach viele privat religiöse Forscher – wie ich – eingestiegen sind, und hat deutlich dokumentiert, dass eine eigene religiöse Position den Religionssoziologen nicht zu einem schlechteren Wissenschaftler macht, jedenfalls nicht automatisch besser oder schlechter als nichtreligiöse Wissenschaftler.
Berger bezeichnete sich selbst als „heterodoxen Lutheraner“ – 1955–1956 arbeitete er an der Evangelischen Akademie Bad Boll – und seine Religion als „a nervous Christianity, in the form of theologically very liberal Lutheranism“ (‚The Many Altars of Modernity‘, Berlin 2014, S. 19). Die englische Wikipedia schreibt dagegen: He „was a moderate Christian Lutheran conservative“.
Noch einmal Zulehner:
„Bestechend war Peters Humor. Über den Humor hat er nicht nur soziologisch reflektiert. Er konnte eine Runde einen ganzen Abend mit erlesenen Witzen unterhalten.“
Beim letzten Besuch in Boston unterhielt Berger mich mit zahlreichen Obama-Witzen.
Auch Religion war für Berger letztlich soziale Konstruktion, so der Soziologe (grundlegend in ‚The Sacred Canopy‘, 1967 = Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, 1994), auch wenn der Theologe in Berger selbstverständlich von gewissen religiösen Grundannahmen ausging.
Er sah Gesellschaft und Mensch und damit auch Religion und Mensch in Dialektik und Zirkelschluss: Der Mensch wird von der Gesellschaft hervorgebracht und aufgezogen und beeinflusst doch kontinuierlich eben diese Gesellschaft zusammen mit vielen anderen um sich her (‚The Social Construction of Reality‘, 1966 = Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 1969, mit Thomas Luckmann).
Am eindrucksvollsten war sicher sein Widerruf der Säkularisierungsthese, die er selbst engagiert vertreten und mitentwickelt hatte [Noch pro Säkularisierung: ‚The Heretical Imperative‘, 1979; am deutlichsten dann dagegen: (Hg.). ‚The Desecularization of the World‘, 1999; „Secularism in Retreat“. The National Interest No. 46 (Winter 1996); Nach dem Niedergang der Säkularisierungstheorie (PDF), 2013 (Englisches Original: Further Thoughts on Religion and Modernity)].
Ich war dabei, als Peter Berger am 22.04.2009 öffentlich beim Plenarvortrag unserer internationalen Tagung in Istanbul verkündigte, die Säkularisierungsthese sei endgültig am Ende. Sein Widerruf der früher von ihm vertretenen und ausformulierten These erfolgte schon vorher, aber hier geschah er sehr eindrücklich und öffentlich, vor allem dank der Werbemaschinerie unseres Sponsors, der Templeton Foundation.
Seine letzte ausführliche Darstellung zur Säkularisierungsthese war ‚The Many Altars of Modernity: Towards a paradigm for religion in a pluralistic age‘ (deGruyter: Berlin, 2014). Man kann fragen, wie es Detlef Pollack im Anhang des Buches tut, ob Berger am Ende mit der starken Betonung der Pluralisierung der religiösen Landschaft nicht doch die Säkularisierungsthese rettet. Jedenfalls war Berger der Meinung, dass Privatisierung und Pluralisierung den Häretischen Imperativ hervorbringen, in dem nichts mehr an sich gilt. Pluralisierung bedeutet erstens, dass wir immer mehrere Religionen und Weltanschauungen in einem Land haben und diese zweitens sich zudem mit dem säkularen Diskurs (z.B. in Politik und Wissenschaft) auseinandersetzen müssen.
Echte Säkularisierung sah Berger eigentlich nur in Europa („a Eurocentric view of the world“, The Many Altars of Modernity, S. 19) und fand dort auch eine meist atheistischen Akademia, die nicht sehen wolle, dass sie die Ausnahme, nicht die Regel sind.
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