Peter Singer ist mit dem letzten Absatz des langen Vorwortes der dritten Auflage seiner berühmten „Praktischen Ethik“ (Practical Ethics. 3. Auflage. Oxford: Oxford University Press, 2011) nicht mehr Peter Singer, nicht mehr reiner Prophet des sogenannten „Präferenzutilitarismus“! Wie im Vorbeigehen lässt er dort eine Bombe fallen. Dort heißt es:

„The astute reader who compares this edition with the previous one may notice that I am now more ready to entertain – although not yet embrace – the idea that there are objective ethical truths that are independent of what anyone desires. I owe that shift – which could not be adequately explored in a book of this nature – to my reading of a draft of Derek Parfit’s immensely impressive forthcoming book, On What Matters. I hope to write more about this question on another occasion.“ (S. xiii, kursiv von mir)

Der Kernsatz auf Deutsch: „… dass ich bereit bin, die Idee, dass es objektive ethische Wahrheiten unabhängig von dem, was der Einzelne begehrt, gibt, in Erwägung zu ziehen, wenn auch noch nicht zu umarmen“.

Oh Mann! (Oh Frau!) Ein Leben lang dafür kämpfen, dass es keine objektiven Werte gibt, um das dann am Ende doch für möglich zu halten? Sicher besser heute noch einsichtig werden, als bis zum Grab tapfer alles beiseitezuschieben. Aber seine Berühmtheit einer These verdanken, die man am Ende nicht durchhalten kann? Andere ein Leben lang bekämpfen, nur um dann einzusehen, dass sie nicht völlig Unrecht haben?

Und in seinem berühmten umfangreichen Grundlagenwerk zur Ethik ist nicht genügend Platz, um diese grundsätzlichste aller ethischen Fragen zu erläutern?

Für andere Änderungen seiner Position hat Singer in Kapitel 4 und 5 viel Platz gefunden. Zu den dortigen Änderungen schreibt er: „That reconsideration of my earlier position is the most significant philosophical change to this edition.“ (S. x). [„Die Änderung meiner früheren Position ist die wichtigste philosophische Änderung in dieser Auflage.“] Nein, die Frage nach absoluten Werten ist auch philosophisch ungemein wichtiger, als jede Einzelfrage.

 

3 Kommentare

  1. Roderich sagt:

    Oh Mann! (Oh Frau!) Ein Leben lang dafür kämpfen, dass es keine objektiven Werte gibt, um das dann am Ende doch für möglich zu halten?

    Das nennt man „Bekehrung“ :-) Dafür haben sicher manche Menschen gebetet. Vermutlich wird man aber annehmen dürfen, dass er früher von seiner alten Meinung überzeugt war – sie also nicht nur vertreten hat, um berühmt zu werden. Was vielleicht noch fehlt, ist jetzt ein konsequentes zu-Ende-Denken seiner neuen Prämissen. Es wäre in der Tat schade, wenn er sich nur deshalb scheut, seine neue Grundüberzeugung auszubuchstabieren, da es ihn Popularität kosten könnte. Es wäre dann interessant, wann genau er seine neue Überzeugung der objektiven Werte gewonnen hat; wenn dies erst vor kurzem war, darf man vielleicht auf ein neues Buch warten, in dem er sein Weiterdenken zum Ausdruck bringt. Geistliche Prozesse bringen Zeit.

    Besser wäre es aber in der Tat gewesen, wenn Singer die Publikation verschoben hätte, um alle Widersprüche zu durchdenken und auszuräumen. Bzw. um die Konsequenzen der Sicht, dass es doch objektive Werte gibt, auszuarbeiten.
    Denn letztlich macht die Sicht objektiver Werte wohl nur Sinn im Rahmen einer Weltanschauung, die in irgendeiner Weise einen Gott einbezieht.

    (Eine ähnliche Sinneswandlung hat ja Anthony Flew hinter sich – zu ganz später Lebenszeit vom Atheismus zum Deismus gekommen. Die jetzige Popularität „in dieser Welt“ ist ja ohnehin wertlos bzw. wertneutral. Es kommt – letztlich – nur darauf an, ob man „bei Gott populär“ ist; dieses Ziel sollte man zur Handlungsmaxime machen).

  2. Roderich sagt:

    Sorry, ich meinte: Geistliche Prozesse benötigen Zeit. (statt „bringen“).

  3. Julian Estragon sagt:

    Singers Anti-Objektivismus war nie das Herzstück seiner moralphilosophischen Position. Im Grunde hat Singer auch früher eine Art moralischen Realismus vertreten, schließlich glaubte er (und tut es immer noch) an die Richtigkeit des Utilitarismus: Eine Position, die sich nicht wiederum auf Präferenzen reduzieren lässt.

    An den konkreten Inhalten seiner Moral hat sich m.W. sehr wenig geändert.

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