Diese Meldung stammt ursprünglich aus dem Jahr 2016 und ist bisher nicht in meinem Blog erschienen.

(Bonn, 20.09.2016) Thomas und Christine Schirrmacher haben in Aserbaidschan das Religionsministerium und Regierungsorganisationen im Bereich von Religionen und Kulturen, außerdem die Führer der unterschiedlichen islamischen Richtungen, das Oberhaupt der jüdischen Gemeinschaft und die Leitungen der offiziellen Konfessionen des Landes (orthodox, katholisch, lutherisch) besucht, um sich ein Bild von der Lage der Religionsfreiheit und dem Stand des Dialogs zwischen Islam, Judentum und Christentum zu machen. Daneben trafen sie sich mit den Vorsitzenden der wichtigsten Menschenrechtsorganisationen des Landes.

Gespräche im Religionsministerium [„State Committee for Work with Religious Associations“ (SCWRA)]

Das Religionsministerium [„State Committee for Work with Religious Associations“ (SCWRA)] überwacht alle Religionen des Landes, insbesondere aber den organisierten Islam. Vorsitzender ist Mubariz Gurbanli, sein Stellvertreter, der das Gespräch vorbereitet hatte, ist Siyavush Haydarov.

Das multikulturelle Institut der Regierung [Baku International Multiculturalism Centre] wurde durch die Leiter, Dr. Ayten Gahraman und Neriman Qasimzade, vertreten. Das Institut soll die sprachliche, ethnische und religiöse Vielfalt des Landes fördern und die – angebliche – Eigenentwicklung der vielen ethnischen Gruppen fördern.

Das Institut ist auch für die rund eine Millionen Flüchtlinge aus dem von Armenien besetzten Berg-Karabach zuständig, über die sich die deutschen Experten ausführlich informieren ließen.

Zu dem Besuch der Führer des offiziellen Islam gehörte auch ein Gespräch mit dem islamischen „Religious Council of the Caucasus“, der für den ganzen Kaukasus zuständig ist, und ein ausführlicher Besuch von dessen Bibliothek historischer Handschriften, sowie ein Besichtigung der Taza Pir Moschee.

Scheich Allahşükür Paşazadə, Großmufti des Kaukasus und Vorsitzender des Rates der Religionen des Kaukasus, selbst Schiit, ist der einzige Großmufti der Welt, der für Sunniten und Schiiten zugleich spricht. Aserbaidschan ist auch das einzige Land der Erde, in der sunnitische und schiitische Muslime ihre Gebete landesweit gemeinsam in denselben Moscheen verrichten, wenn auch ursprünglich auf staatlichen Druck hin.

Zu den beteiligten Vorstandsmitgliedern des „Caucasus Muslim Board“ gehörten die Vizepräsidenten Dr. Kamer A. Javadli, Shimran Hasanov und die Vizepräsidentin, die ausführlich das islamische Bildungssystem des Landes erläuterte.

Später trafen sich Thomas und Christine Schirrmacher auch mit Frau Prof. Antiga Gurbanova, die die von ihr gegründete Islamische Universität aus Protest gegen die zunehmende Islamisierung verlassen hatte und zu einer bedeutenden Frauenrechtlerin des Landes wurde.

In einem privaten Ambiente trafen sie dann aber auch den Führer der Untergrundschiiten, offiziell der Vorsitzende des Centre for the Protection of Freedom of Conscience and Religion (DEVAMM), Ilgar Ibragimoglu. Er wird der „Muqtada as-Sadr von Aserbaidschan“ genannt.

„Muqtada as-Sadr … (* 12. August 1973 im Irak), ist ein radikaler irakischer Geistlicher, Milizenführer und Schiiten-Politiker, dessen Streitkräfte von 2004 bis 2008 gegen US-amerikanische und irakische Truppen kämpften.“ (Wikipedia, 05.08.2016)

„Vorherrschende Religion ist der schiitische Islam, der im 8. Jahrhundert von arabischen Eroberern verbreitet wurde. Aserbaidschan ist neben dem Iran, dem Irak und Bahrain eines der wenigen Länder mit schiitischer Bevölkerungsmehrheit: 85 Prozent der muslimischen Aserbaidschaner bekennen sich zur schiitischen und 15 Prozent zur sunnitischen Glaubensrichtung. Viele Aserbaidschaner wurden während der Sowjetherrschaft säkularisiert. Daher bezeichnen sich heute nur etwa 10 Prozent als regelmäßig praktizierende Muslime. Die meisten Aserbaidschaner praktizieren den Islam nur an hohen Feiertagen wie dem Ramadan. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebte der Islam aber eine Wiedergeburt. Immer mehr Menschen wandten sich dem Islam wieder zu. Besonders im Süden des Landes entsteht seit einigen Jahren durch iranischen Einfluss eine orthodoxere Form des Islams. Bereits 1991 wurden erste politische Organisationen mit islamischem Charakter in Aserbaidschan gegründet. Hierzu gehören die Islamische Partei Aserbaidschans, die Aserbaidschanische Partei für islamischen Fortschritt und die Organisation Azad Ruhaniler. Anschließend wurden unter den aktualisierten laizistischen Gesetzen Aserbaidschans im Jahr 1995 die Islamische Partei Aserbaidschans, die Aserbaidschanische Partei für islamischen Fortschritt und andere islamische Parteien und Organisationen verboten; und die Gründung (und Neugründung) von religiösen Parteien sind nun gesetzlich verboten.“ (Wikipedia, 05.08.2016)

Der Vorsitzende der „Religious Community of Mountain Jews of Azerbaijan“, Rabbi Yevdayev Milikh Ilhanonovich, führte die deutschen Experten durch die 2003 erbaute Synagoge in Baku. Er berichtete, dass Juden in Baku problemlos in traditioneller Kleidung spazieren gehen könnten, ohne dass es je Probleme gäbe. Neben den sogenannten ‚Bergjuden‘ gibt es in Aserbaidschan aschkenasische Juden europäischer Herkunft und Georgier, die zum Judentum übergetreten sind. Insgesamt schätzt man 25.000 bis 30.000 Juden im Land.

Vor der Taza Pir Moschee des „Religious Council of the Caucasus“

Schließlich besichtigten die Experten noch Ateschgah, einen zoroastrischen Feuertempel in der Nähe der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, in dem auch hinduistische Pilger das Feuer verehrten. Hier strömt Gas aus der Erde, das dauerhaft und von alleine brennt, was früher als göttliches Wunder galt.

Der russisch-orthodoxe Erzbischof von Baku und der aserbaidschanischen Eparchie Alexander Ischein hat seinen Amtssitz neben der Kathedrale. Erzpriester Mefodity Afandiyev, Sekretär des Diözesanbüros der Russisch-Orthodoxen Kirche in Baku und Aserbaidschan, gab Thomas und Christine Schirrmacher einen umfassenden Einblick in die Lage seiner Kirche im Land, wozu auch eine Führung durch die russisch-orthodoxe Kathedrale gehörte. Sie wurde 1909 erbaut, aber 1920 geschlossen und 1991 durch sowjetischen Beschuss zerstört. Dank einer Spende eines azeristämmigen russischen Geschäftsmanns wurde die Kathedrale bis 2000 neu erbaut und 2001 von Patriarch Alexius II. zur Bischofskirche geweiht, da die berühmte Alexander-Newski-Kathedrale 1936 von den Sowjets gesprengt worden war. 1998 gaben 3,8% der Bevölkerung an, russisch-orthodox zu sein, neuere Daten gibt es nicht.

Es gibt schätzungsweise 7000 Protestanten und 400 Katholiken, daneben 1200 Zeugen Jehovas. Neben einem Besuch des Leiters der katholischen Gemeinde Fr. Jozef Cerkov in der sog. Pro-Kathedrale der Apostolischen Präfektur in Aserbaidschan standen Gottesdienstbesuch und Besuch der Kirchengemeinde der evangelisch-lutherischen Erlöserkirche auf dem Programm. Pfarrerin Vera Nesterova ist für die russischen Gottesdienste zuständig und Pfarrer Manzar Ismayilova für die Gottesdienste in Azeri. Die Gottesdienste finden gegen eine Miete für jeden Gottesdienst in der dem Staat gehörenden imposanten Erlöserkirche statt.

Die Webseite des Religionsministeriums nennt neben den offiziellen Kirchen noch die Baptisten, die Adventisten, zwei kleine orthodoxe Gruppen und weitere sehr kleine Gruppierungen.

Aserbaidschan befindet sich auf dem Weltverfolgungsindex 2013 des Hilfswerks Open Doors auf Platz 38 der Staaten, die Christen am meisten verfolgen.

„Die Aserbaidschanische Verfassung gewährt allen Religionsgemeinschaften formal Religionsfreiheit. Allerdings müssen sich alle Religionsgemeinschaften registrieren. Nicht registrierte christliche Gemeinden sind somit illegal. Die Herstellung, die Einfuhr oder der Verkauf von Bibeln ohne ausdrückliche staatliche Genehmigung gelten als Straftat. Oft werden die Aktivitäten der christlichen Gemeinden von dem staatlichen Komitee für religiöse Angelegenheiten oder der Geheimpolizei beobachtet und kontrolliert. Im Mai 2009 sind in Aserbaidschan ein neues Religionsgesetz und damit verbundene Novellen zum Verwaltungs- und Strafgesetz in Kraft getreten. Religionsgemeinschaften, die sich nicht bis Januar 2010 registrieren ließen, wurden nicht mehr akzeptiert.“ (Wikipedia, 06.08.2016)

(von links) Saadat Benanyarly, Rabbi Yevdayev Milikh Ilhanonovich, Thomas Schirrmacher

In den 1990er Jahren galten alle Christen als fünfte Kolonne Armeniens und wurden deswegen sowohl vom Staat als auch von der Mehrheitsbevölkerung beargwöhnt und diskriminiert. Unter dem derzeitigen Präsidenten hat sich dies grundlegend geändert, wie alle Konfessionen übereinstimmend berichten, einheimische Christen werden nicht mehr mit dem Konflikt mit Armenien in Verbindung gebracht.

Russland steht im Berg-Karabach-Konflikt grundsätzlich auf Seite des ebenfalls ‚christlichen‘ Armeniens und hält den Konflikt am Köcheln, liefert zugleich aber Waffen an beide Seiten, denn es will seinen Einfluss auf die frühere Sowjetrepublik Aserbaidschan auch nicht verlieren.

Menschenrechtsorganisationen

An dem mehrstündigen Gespräch mit den Leitern der meisten Menschenrechtsorganisationen des Landes nahmen teil:

  • Dr. Saadat Benanyarly, Präsidentin der IGFM-Aserbaidschan,
  • Novella Jafarova-Appelbaum (Vorsitzende der Association for the Protection of Women’s Rights in Azerbaijan after D. Aliyeva),
  • Eldar Zeynalov (Aserbaidschan Human Rights Center, AHRC),
  • Zaliha Tahirova (Human Rights Center of Azerbaijan),
    Avaz Hasanov (Nationaler Koordinator der Azerbaijani National Platform of the Civil Society Forum Eastern Partnership),
  • Alimammad Nuriyev (Präsident der „Constitution“ Researches Foundation),
  • Sahib Mammadov (Vorsitzender der Citizens’ Labour Rights Protection League),
  • Saida Godjamanli (Bureau of Human Rights and Lawyer Respect),
  • Avaz Qasanov (Chairman Humanitarian Research Public Union).

Die meisten Menschenrechtsorganisationen entstammen der Spätzeit der Sowjetunion, als es erstmals möglich war, etwas organisierter Menschenrechtsverletzungen anzumahnen.

Ausführlich berichtigten Anwälte der Organisationen von den Zuständen in den Gefängnissen, dass sie das Recht haben, jedes beliebige Gefängnis im Land jederzeit zu inspizieren.

Ein besonders Thema waren die derzeit 15 politischen Gefangenen, für die sich internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch einsetzen. Nach übereinstimmender Aussage der versammelten Menschenrechtsorganisationen handele es sich fast ausschließlich um gefährliche Islamisten.

 

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