Doppelmoral (Teil 1)

Als ich in die Schule ging, wurde mir als überzeugtem Christ pausenlos – teils zu Recht, teils zu Unrecht – die Doppelmoral kirchlicher Würdenträger vorgehalten. Doppelmoral wurde oft für ein religiöses Phänomen gehalten.

Die heutigen Moralwächter sind zwar nicht mehr kirchlich bestimmt, aber umso heftiger unterwegs. Statt der Zehn Gebote gibt es zehntausend Gebote, die zudem ständig wechseln und zunehmen. Statt der Hölle droht jetzt der soziale und mediale Tod, wenn man sich nicht unterwirft. Dabei sind es heutzutage oft die heftigsten Moralwächter, die die heftigste Doppelmoral an den Tag legen.

Einige wahllose Beispiele

Die Wähler der Grünen fliegen häufiger mit dem Flugzeug als die Wähler anderer Parteien. Die Bundestagsabgeordneten der Grünen fliegen häufiger mit dem Flugzeug als die Abgeordneten anderer Parteien.

Greta Thunberg kocht auf ihrer Hochseejacht nicht und benutzt keine Mikrowelle. Stattdessen hat sie gefriergetrocknetes Essen dabei, das noch energieintensiver produziert wird als normales Essen. Und wenn sich ab jetzt jeder USA-Reisende eine Hochsee-Segelyacht bauen lässt und mehrer Leute Vollzeit benötigt, um ihn in die USA zu bringen, dürfte das die Klimabilanz stark verschlechtern. Dass Gretas Mitarbeiter alle in die USA fliegen, davon wollen wir einmal gar nicht sprechen.

Der STERN schreibt in einem groß aufgemachten Beitrag – oder eher Hetzartikel – „Ihr da oben!“ im Heft vom 14.03.2019 gegen zwölf superreiche deutsche Familienclans, die ganze Wirtschaftsimperien kontrollieren. Dabei gehört der STERN selbst einer solchen Familie – nämlich der Familie Mohn, der die Bertelsmann Media Group usw. gehört, was der STERN aber natürlich verschweigt.

Ein „wunderschönes“ Beispiel für solche Doppelmoral fand ich jüngst in einem der großen Moralwächter der Nation, dem SPIEGEL, der nicht müde wird, die Doppelmoral der Kirchen anzuprangern. Das Titelthema des Heftes 33/2019 sind Kreuzfahrten. Eigentlich gehören alle Kreuzfahrtschiffe stillgelegt, so der SPIEGEL. Behauptet wird, dass die Kreuzfahrtgesellschaften von den Medien mit Samthandschuhen angefasst werden, weil sie zu den wichtigsten Anzeigenkunden gehören. Also geht der Spiegel mit gutem Beispiel voran und verzichtet ab jetzt auf solche Anzeigen? Weit gefehlt, der Spiegel bietet vielmehr häufig Leserreisen auf Kreuzfahrtschiffen an. Auf spiegelonline heißt es dazu unter dem Artikel „Kritik an Kreuzfahrtreedereien ‚Gesellschaftlich nicht mehr vertretbar‘“ (zumindest am 15.08.2019):

„Anmerkung der Redaktion: Der SPIEGEL-Verlag bietet wie andere Medienhäuser auch Leserreisen auf Kreuzfahrtschiffen an. Redaktion und Verlag sind jedoch strikt getrennt. In der Hausmitteilung zur aktuellen Titelgeschichte heißt es dazu: ‚Wir werden die Titelgeschichte trotzdem zum Anlass nehmen, diese Kooperationen neu zu überdenken‘.“

Würde der SPIEGEL dem Vatikan oder der Evangelischen Allianz eine solche Doppelmoral und fadenscheinige Begründung durchgehen lassen? Eine andere Abteilung der eigenen Firma ist dafür zuständig, also kann man nichts dafür? Echte Doppelmoral!

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4 Kommentare

  1. Sec sagt:

    Ich habe Fundierteres erwartet, als Greta Bashing. Auf andere mit Fingern zeigen, ist Teil dieser „Doppelmoral“! Oder vielleicht auch nur dies kindische „der macht’s aber auch“?
    Ganz schwach, Herr Schirrmacher.

  2. jo sagt:

    @Sec: Was ist am Bloßstellen einer gewissen Doppelmoral „doppelmoralisch” oder gar verkehrt? Und was ist an diesem Beitrag „unfundiert“? Viele Grüße!

  3. AntiRührer sagt:

    Doppelmoral fängt in der Familie an. Wie kann man selbst für Moral und christliche Werte eingestehen und hat zu Hause einen Sohn, der nicht nur asozial agiert, sondern im höchsten Maße unchristlich agiert, beleidigend ist und sogar auf vielfältige Art und Weise öffentliche Verstöße gegen das Waffenrecht verstoßen hat. Bevor ich also etwas von großer Doppelmoral predige, würde ich erst einmal die eigene Sippe auf jene Aspekte hin überprüfen und vor der eigenen Haustüre kehren.

    • Schirrmacher sagt:

      @AntiRührer: Ich habe keinen Sohn „zu Hause“, sondern mein erwachsener Sohn lebt andernorts nach seinen eigenen Wertvorstellungen, wie das heute wohl die meisten Söhne und Töchter tun. Hätten Sie einen Weg gefunden, wie man erwachsene Kinder (und auch nicht erwachsene) dazu bekommt so zu leben, wie die Eltern es moralisch für richtig halten, würden Sie Millionen von Käufern finden und würden leicht Milliardär. Und „die eigene Sippe prüfen“ gab es vielleicht in der Kaiserzeit, ich bin jedenfalls sehr froh, dass es keine Sippenhaft mehr gibt. (Im übrigen wäre das nur Doppelmoral, wenn ICH heimlich anders leben würde, nicht aber, wenn ein anderer nach seiner anderen Moral lebt.)

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