Der alte Zigeunerrassismus ist leider immer noch nicht tot
In meinem Buch gegen ‚Rassismus‘ habe ich die drei einzigen Arten des Rassismus zusammengestellt, die über alle Kontinente und über viele Jahrhunderte verfolgt werden können, von denen einer für einen ‚großen‘ Rassismus steht, der sich gegen einen Großteil der Menschheit wendet, und zwei für einen ‚kleinen‘ Rassismus, der sich gegen Minderheiten und kleine Volksgruppen wendet:
Die drei international und in der Geschichte verbreitetsten Rassismen
Die Verleumdung und Bekämpfung oder Unterdrückung
1. der „Schwarzen“ (oder von Menschen, die eine dunklere Hautfarbe haben als man selbst) – sie sind angeblich dumm, roh und unzivilisiert;
2. der Juden – sie sind angeblich verschlagen, raffgierig und herrschsüchtig;
3. die „Zigeuner“ – sie sind angeblich asozial und diebisch.
Latent und offen finden sich die rassistischen Vorurteile gegen die Roma und Sinti (‚Zigeuner‘) weltweit, in Australien, wo es sie praktisch nicht gibt, aber jeder zu wissen scheint, wie sie ‚wirklich‘ sind, in den USA, wo man sie seit 1880 offiziell bis heute nicht als Einwanderer haben will, in ihrem vermutlichen Ursprungsort Indien, wo sie als Abschaum gelten, in Rumänien, wo ihr Bevölkerungsanteil innerhalb von Europa am höchsten ist und keiner sie haben will, ebenso wie in Malta und Dänemark, wo es sie gar nicht gibt, aber eine Bevölkerungsmehrheit sie ablehnt, wie eine EU-Untersuchung jüngst gezeigt hat.
Neu ist aber, wie über Nacht rassistisches Denken in die große Politik zurückkehren kann, die sonst Antirassismusprogramme finanziert, sei es nun in Frankreichs Regierung, in die deutschen Länderregierungen oder in eine wachsende Zahl von Kommunen in ganz Europa. EU-Bürger werden gezwungen, in das Land ihres Passes oder gar nur ihrer vermuteten Heimat zurückzukehren, nicht weil sie selbst kriminell gehandelt hätten, sondern weil man für das Handeln Einzelner alle in Sippenhaft nimmt. Statt das der Rechtsstaat Übeltäter von ehrlichen Mitbürgern trennt, werden alle in einen Topf geschmissen.
Es mag ja sein, dass es jeweils formale Grundlagen dafür gibt, EU-Bürger in einem EU-Staat keine Aufenthaltserlaubnis zu gewähren und sie abzuschieben, der Rassismus liegt aber auch dann darin, dass man dies flächendeckend nur mit Roma und Sinti tut. Man vergleiche im Gegenzug dazu, wie schwer sich dieselben Länder oder Behörden tun, türkische und arabische Gewalttäter in ihre Heimatländer außerhalb der EU abzuschieben!
Die Hälfte der Abgeschobenen sind Kinder. Sie kehren in den Kosovo zurück, wo sie nicht zur Schule gehen können, oder nach Rumänien, wo sie die Verachtung nicht nur der Bevölkerung, sondern auch die Diskriminierung seitens der Regierung mit voller Wucht trifft. Ohne Schulabschluss aber ist die Gefahr einer kriminellen Karriere für die jungen Roma und Sinti so groß wie bei allen Kindern ohne Zukunftsperspektive, eine selbsterfüllende Prophetie des Rassismus.
Im 9.-11. Jh. wurden die Roma und Sinti vermutlich von arabischen Eroberern aus dem indischen Punjab als Soldaten und Sklaven ins Oströmische Reich verschleppt, dann zogen sie aus der Türkei in den Balkan – die Geschichte der „Zigeuner“ ist eine tausend Jahre lange Geschichte der rassistischen Verachtung und Unterdrückung auf fast allen Erdteilen.
Die ersten Zigeunerverfolgungen sind aus den rumänischen Fürstentümern Walachei und Moldawien bekannt, wo Roma seit dem 14. und bis ins 19. Jh. versklavt, inhaftiert, vertrieben und ausgegrenzt wurden – dort ist bis heute die Zigeunerverachtung am stärksten, zuletzt zu erkennen an den schrecklichen Pogromen kurz nach dem Fall der Mauer Anfang der 1990-er Jahre.
Trotz 300.000 Opfern unter dem Naziregime entschied noch 1956 der Bundesgerichtshof, dass die Verfolgung der Zigeuner durch den Nationalsozialismus vorwiegend nicht rassistisch gewesen sei, sondern den „asozialen Eigenschaften der Zigeuner“ gegolten habe. Haben wir denn seitdem nichts gelernt?
3 Kommentare
Der Artikel beantwortet leider nicht die Frage, was waren die Zigeuner ursprünglich? Sie lebten in Indien, wurden verschleppt, waren gute Handwerker und Spielleute. Was waren sie vor ihrer Verschleppung und Versklavung? Klingt für mich sehr wohl nach Sesshaftigkeit. Gibt es darüber irgendwelche Materialien, Quellen?
Mit freundlichen Grüßen
Antje-Veronika Aukam
Im 9.-11. Jh. wurden die Sinti und Roma vermutlich von arabischen Eroberern aus dem indischen Punjab als Soldaten und Sklaven ins Oströmische Reich verschleppt. Davor verliert sich ihre Spur in Indien. Ich kenne keine seriöse Theorie darüber, wer oder was sie in Indien waren. Ihr Thomas Schirrmacher
[…] habe in meinem Blog „Wider die Sippenhaft für alle Roma und Sinti“ (1.9.2010) Fotos der Roma & Sinti-Gedenkstätte im KZ Buchenwald gezeigt – hier noch […]