Bei einem hochrangig besetzten Treffen der OSZE zum Thema Religionsfreiheit im Rahmen der Menschenrechtskonsultationen ‚OSCE Supplementary Human Dimension Implementation Meeting on Freedom of Religion or Belief‘ am 9.–10. Dezember 2010 in der Hofburg in Wien kam es zu einem totgeschwiegenen Eklat.

Da Kasachstan den Vorsitz der OSZE inne hatte, war der erste ‚keynote speaker‘ Frau Iman Valeriya Porokhova, Mitglied der Russischen Akademie für Naturwissenschaften und führende russische Muslimin (siehe http://koran-valeria.narod.ru/). Die fachlich ausgewiesene und persönlich sehr sympathische Frau forderte zu einem friedlichen Zusammengehen der Religionen auf (allerdings nannte sie immer nur Islam, Christentum und Judentum, nicht aber eine der anwesenden Minderheitenreligionen, geschweige denn säkulare Weltanschauungen). Möglich sei das, weil die universalen Prinzipien des Koran und der Scharia ja auch von Bibel und Thorah gestützt würden. Zum Thema Menschenrechte oder dem Menschenrecht auf Religionsfreiheit sagte sie eigentlich kaum etwas.

Je länger, je mehr wurde ihr Beitrag zu einer Predigt mit vielen Koranzitaten. Europa gehe seinem Untergang entgegen, so Porokhova, weil es nicht mehr Gottes Wort in Koran, Bibel und Thorah folge, sondern seine eigenen Gesetze mache. Ich denke, mir wäre zu diesem Zeitpunkt längst das Wort entzogen worden.

Der Höhepunkt wurde erreicht, als sie als Beispiel für den Unterschied zwischen Islam und Europa die Abschaffung der Todesstrafe anführte. Gegen den Willen Gottes, wie er in den heiligen Büchern festgelegt sei, habe Europa die Todesstrafe abgeschafft. Würde das nicht rückgängig gemacht, könne kein Segen auf Europa liegen. Es ginge darum, auf Gottes Wort zu hören oder aber der menschlichen Rebellion Raum zu geben. Die Rednerin drohte dabei Europa unverhohlen. Im Übrigen ordnete sie dabei alle anderen Religionen ohne Einschränkung unter den Islam unter.

Alle 200 Anwesenden (Boschafter, Religionsvertreter, Experten) schwiegen immer noch vornehm. Auch die anwesenden Muslime, die zum Teil viel freiheitlichere Ansätze vertreten, schwiegen. Viele Medienvertreter sprachen mich hinterher darauf an, berichtet hat keiner davon.

Ich habe mich gefragt: Was, wenn der Apostolische Nuntius des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf, Msgr. Silvano M. Tomasi, der später sprach, mit Verweis auf die Bibel die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert hätte und andernfalls Europa mit Gericht gedroht hätte, oder Msgr. Michael Banach als Vertreter des Heiligen Stuhls (als Staat) bei der OSZE. Das hätte eine große Empörung der Medien und darauf folgend scharfe Statements von Politikern quer durch Europa geführt.

Oder noch besser: Ich hätte so etwas als Vertreter der Weltweiten Evangelischen Allianz gefordert. Ich hätte möglicherweise die Berühmtheit des religiösen Exzentrikers Terry Jones erreicht, der den Koran verbrennen wollte. (Und zum Glück gibt es so etwas wie das Strafrecht der Scharia, also ein heiliges christliches Strafrecht, nicht, so dass auch niemand seine Einführung fordern kann.)

Ich setze mich seit Langem für ein friedliches Zusammenleben mit allen Religionen und Weltanschauungen, auch dem Islam, ein. Ich habe mich schon oft offiziell mit muslimischen Führern in aller Welt getroffen, von vielen anderen Kontakten und vertrauensbildenden Maßnahmen einmal gar nicht zu reden.

Aber manchmal stehe ich nur noch kopfschüttelnd davor, mit welch zweierlei Maß das säkulare Europa Islam und Christentum misst. Dabei haben doch gerade säkular orientierte Menschen alles zu verlieren, wenn eine solche islamistische Sicht Schule machen würde, während Christen so etwas weder fordern, noch fördern, sondern Demokratie, Menschenrechte und Religionsfreiheit aus theologischen Gründen begründen und stabilisieren helfen.

Nachtrag Juni 2011: Inzwischen ist eine schriftliche Form der Rede auf der offiziellen Webseite der OSZE eingestellt worden!  Die Rede ist zwar gekürzt und verändert, aber jeder kann hier – im Rahmen eines Menschenrechtsbehörde und eines Symposiums zur Religionsfreiheit! – nachlesen:

  1. dass Religionsfreiheit und Menschenrechte praktisch nicht vorkamen,
  2. dass es eigentlich eher eine islamische Predigt war, die mit einer Koranvers-Sammlung endet,
  3. dass der Islam die einzige nicht von Menschen gemachte Religion ist (S. 3 Mitte) und die einzige Religion, die Gott wirklich im Mittelpunkt hat (S. 4 Mitte),
  4. dass die Rede damit endet, dass die Bibel verfälscht ist (S. 6),
  5. dass die Todesstrafe wieder eingeführt werden muss und Ehebruch, Alkoholgenuss, Schweinefleischgenuss und moderne Frauenbekleidung in ganz Europa bestraft werden sollten (S. 5).
 

4 Kommentare

  1. Uwe Seibert sagt:

    Eine schockierende Erfahrung. Ich schätze, die anwesenden Boschafter, Religionsvertreter und Experten waren einfach sprachlos. Oder wollten keinen Eklat. Schlimm, dass auf die „Evangelikalen“ immer wieder medial eingeprügelt wird. Allerdings wird über die Islamisten auch oft kritisch berichtet.

    Ich denke, alle wohlmeinenden Menschen (oft als „Gutmenschen“ belächtet) aller Religionen müssen zusammenarbeiten, trotz aller Scharfmacher. Wir Christen ganz besonders.

  2. Jürgen sagt:

    Vielen Dank für den Artikel. Das mach einen ja förmlich sprachlos.
    Gibt es denn Möglichkeiten wie wir als aufmerksame Bürger dagegen protestieren können?

    • thomas sagt:

      Man kann solche Beispiel nur immer wieder in Gesprächen, in Leserbriefen, in Blogs und Netzwerken, oder gegenüber Entscheidungsträgern wie Journalisten oder Politikern zur Sprache bringen. Letztere interessiert sowas nur, wenn sie das Emfpinden haben, dass es ihre Wähler bewegt.

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