Cover Kaffeepausen mit dem Papst: Meine Begegnungen mit Franziskus

Theologen-Elitedünkel

„Der Elitedünkel mancher akademischer Theologen im Elfenbeinturm ist nicht nur unerträglich, sondern ein Hemmschuh für die frohe Botschaft von der Erlösung in Jesus Christus. Mich hat immer wieder … daran erinnert, dass Theologie eine elementar praktische Wissenschaft ist: … mein Engagement für verfolgte Christen, vor allem im Globalen Süden, denn niemand stirbt für Doktortitel und Fußnoten.“

Korrekte Theologie errettet nicht

„Wenn die korrekte Theologie uns erretten würde, würde keiner von uns errettet. Wäre die korrekte Theologie das notwendige Werk, um errettet zu werden, wäre das nicht nur das Ende der Gnade, sondern es würde keiner vor Gott bestehen. Die bedeutendsten Theologen werden, wenn sie Jesus begegnen, wie er wirklich ist (1Kor 13,9–12), blass über manches werden, das sie im Brustton der Überzeugung gesagt haben und das sich dann – so der bedeutende Theologe Paulus – als kindliches Gerede erweisen wird.“

Bibeltreue des Handelns

„Theologie ist enorm wichtig. Lehre und Theorie sind enorm wichtig. Aber bei Gott zählt immer auch die Wirklichkeit, die Praxis, das Leben. Nur ‚wer meine Worte hört und tut sie …‘, hat auf Fels gebaut, sagt Jesus (Mt 7,24). ‚Bibeltreu‘ ist nicht einfach der, der Inhalt und Botschaft der Bibel am treusten wiedergibt, sondern der, der sie auch am treusten lebt.“

Papstpalast

„Der Papstpalast wurde noch vor der Reformation von einigen der verschwenderischsten und unmoralischsten Päpste erbaut. Kann man es einem Papst, der diese Unmoral und Korruption im Vatikan ausmerzen will, verdenken, dass er den Palast mit sehr gemischten Gefühlen betrachtet? Das Gold an der Decke des päpstlichen Palastes stammt aus dem ersten Gold, das Christoph Columbus aus der Neuen Welt an das Königshaus nach Spanien schickte, das es der Kirche spendete. Kann man es da einem Papst aus Lateinamerika verdenken, beim Betreten des Stein gewordenen Denkmals der Ausbeutung seines Kontinents gemischte Gefühle zu hegen?“

Selfie mit dem Papst anlässlich der Übergabe der Jahrbücher © BQ / Warnecke

Selfie mit dem Papst anlässlich der Übergabe der Jahrbücher © Schirrmacher

Typisch Franziskus

„Einmal fragten wir ihn bei einem langen, vertraulichen Gespräch, warum eigentlich keiner seiner Mitarbeiter in der Nähe sei. Er antwortete wie aus der Pistole geschossen – sprach dabei aber nicht von Vertraulichkeit oder von Misstrauen gegenüber seinen Mitarbeitern, die er im Übrigen oft lobend erwähnt, sondern erwiderte: ‚Die wollen mir ja nur dauernd helfen.‘“

„Franziskus wurde einmal gefragt, warum er so viel Zeit mit ganz normalen Leuten verbrächte. Er erwiderte: ‚Andernfalls könnte ich die Rechnungen des Psychiaters nicht bezahlen.‘ Wer öfter mit dem Papst zu tun hat, hört diese Bemerkung in allerlei Varianten und muss meist schmunzeln, denn sie passt genau zu diesem Mann, der von Amts wegen rund um die Uhr arbeiten müsste, der die Wichtigsten der Wichtigen der Menschheit empfängt und doch einen Besuch in der Armenküche von Sant’Egidio in Rom jeder offiziellen Audienz vorzieht. Und er kann auch mit denjenigen Kirchenführern der Welt am besten, die ihn wie einen ganz normalen Menschen behandeln.“

„Alle sonstigen Veränderungen zum Guten wären wertlos und Schein, wenn Franziskus der Fäulnis im eigenen Haus nicht den Fehdehandschuh hingeworfen hätte. Die Weltchristenheit muss ihm dankbar sein, dass er die jahrhundertealte Verquickung von Geldsucht und Geltungssucht ebenso beenden will wie Ämterschachern, Schlendrian und das fehlende Unrechtsbewusstsein bei der Kumpanei mit politischer Macht, ja, bisweilen sogar mit der Mafia. Denn alle Christen leiden unter der Doppelmoral im Vatikan und wo auch immer sonst sie in den oberen christlichen Etagen zu finden ist, weil sie den Namen Gottes dem Spott aussetzt. Ich nenne Papst Franziskus ‚die Rache des Benedikt‘ gegenüber der Kurie. Nun mag Rache für Christen nicht ganz der richtige Begriff sein, doch aus Sicht der eigenmächtigen und erst recht der korrupten Kardinäle und Prälaten verhält es sich so. Offensichtlich hatte es die große Mehrheit der Kardinäle satt, wie sich die Kurie aufführte. Sie wählten einen eisernen Besen, um den Stall auszukehren!“

„4 Mio in Manila: Doch trotz solcher Rekorde kann ich aus eigener Beobachtung in ganz unterschiedlichen Situationen sagen, dass dieser Mann bescheiden, demütig und stärker auf persönliche Gespräche aus ist. Ja, er ist ein Vollblutpolitiker. Ja, er ist der geborene Leiter und für sein Amt befähigt. Ja, er kann enormen Druck seiner Umgebung aushalten. Und doch ist er im Herzen ein gewissermaßen „kleiner“ Priester und Seelsorger geblieben, der sich um seine einzelnen Schafe kümmert. Genau so hat er es jedenfalls bei einer Fragestunde in einer lutherischen Kirche in Rom beschrieben. Er leidet persönlich darunter, wenn er von Christenverfolgung, von Korruption im Vatikan oder vom sexuellen Missbrauch an Kindern durch Priester erfahre. Ich habe gesehen, wie ihm der Bericht über eine verfolgte Familie die Tränen in die Augen trieb und nie erlebt, dass sein Bad in der Menge, das er mindestens zweimal in der Woche nimmt, etwas daran geändert hat.“

„Franziskus ist bewundernswert frei von Vorurteilen und Rachegedanken gegenüber denen, die ihm früher Übles wollten oder die sich seit 2013 gegen seine Erneuerungspläne wenden. Wir werden noch sehen, dass er unter allen Verantwortlichen im Vatikan eine enorme Bandbreite an Meinungen zulässt wie nie ein Papst zuvor. Ich gebe es offen zu, ich bewundere den Papst: sowohl seinen persönlichen Umgang mit mir und anderen als auch sein Aufräumen im Vatikan und in der katholischen Kirche weltweit. Darf das ein Evangelischer?“

„Ich erlaube mir – das sei an meine evangelikalen Kritiker gerichtet –, zwischen dem beeindruckenden Charakter des Papstes und seinen persönlichen theologischen Positionen einerseits und den kirchenamtlichen Positionen der katholischen Kirche der letzten Jahrzehnte andererseits zu unterscheiden. Mit meinen positiven Äußerungen über seine Persönlichkeit, sein Auftreten, unsere freundschaftliche Verbundenheit teile ich selbstverständlich nicht jede seiner Auffassungen und schon gar nicht jede katholische Lehre der letzten 150 Jahre – das tut er selbst nicht! Zudem ist es der Papst, der in den Gesprächen sehr viel fragt. Im Gespräch ist er mehr daran interessiert, die Einschätzung anderer zu hören, als selbst Vorlesungen zu halten.“

„Viele meiner evangelikalen Freunde sind schon entrüstet, wenn ich von einer Gebetsgemeinschaft mit dem Papst allein oder in kleiner Gruppe berichte. Eine Gebetsgemeinschaft möge ja evangelikal klingen, aber mit dem Papst dabei, das gehe nun wirklich nicht!“

„Liberalere evangelische wie katholische Mitchristen scheint mitunter zu verstören, wenn ich offen darüber spreche, dass Papst Franziskus besser mit konservativen Protestanten zurechtkommt als mit eher liberal geprägten Evangelischen. Man verstehe nur bitte: Nachdem Evangelikale lange das Empfinden hatten, irgendwie am „Katzentisch“ der Kirchen zu sitzen, obwohl sich eine halbe Milliarde Christen zu ihnen zählen, ist der derzeitige Aufbruch eine Erleichterung, die aufatmen lässt. Zumal – das werde ich noch weiter unten erzählen – insbesondere seit 2006 der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) auf die Weltweite Evangelische Allianz (WEA) zugegangen ist und meist, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, unsere Mitarbeit erwünschte, so dass heute offen und ehrlich über theologische Positionen diskutiert, aber auch gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt gekämpft werden kann. Dass sich jährlich die fünf wichtigsten Leiter des ÖRK und der WEA in Genf zu einer Strategiebesprechung treffen, beendete das Katzentischgefühl ebenso wie das Handeln des Papstes, ist aber längst nicht so pressewirksam.“

„Franziskus ist sehr persönlich, sehr privat, sehr eigenwillig, aber man täusche sich nicht: Er ist auch sehr organisiert, vorausschauend und methodisch versiert und setzt keine Pläne um, ohne sie vorher gut bedacht und ihretwegen viel Rat eingeholt zu haben. Er hat sich sein Leben lang selbst organisiert und versucht auch, es trotz Papstamt und vieler Helfer um ihn herum weiterhin so zu halten. Die Privatheit, ja, Vertraulichkeit wird dadurch verstärkt, dass der Papst körperlich bedingt sehr leise spricht und man sich ihm nähern muss, wenn man ihn ohne Mikrofon verstehen will.“

„Einmal hätte mich die vatikanische Polizei beinahe im Domus Sanctae Marthae verhaftet. Ich hatte mich dort mit einem Kardinal getroffen und mir anschließend im Kellergeschoss die Hände gewaschen. Als ich die Treppe wieder hinaufging, öffneten sich zufällig die Aufzugstüren auf und der Papst trat heraus. Er kam auf mich zu und wir unterhielten uns kurz über ein geplantes Treffen. Derweil merkte ich, wie von zwei Seiten Polizisten näher kamen. Kaum war das Gespräch zu Ende, hakten sie mich unter, brachten mich zur Tür und begannen, mich zu befragen. Ich verstand das schnelle und aufgeregte Italienisch nicht. Also rief ich zwei deutschsprachige Schweizer Gardisten hinzu, die mir erklärten, ich stehe nicht auf der Liste der Gesprächspartner des Papstes und habe mich strafbar gemacht. Ich erklärte, dass der Papst selbst mich angesprochen habe. Und so wie ich den Papst kennen würde, komme das doch öfter vor. Nun begannen die Schweizer Gardisten den Polizisten zu erklären, dass ich häufiger hier sei, der Papst oft mit mir spreche und sie notfalls den Heiligen Vater herholen könnten. Schließlich ließen mich die Polizisten frei. Zum Glück war ich im Vatikan, denn in Deutschland hätte mich die Armee (der die Schweizer Garde entspricht) nicht so leicht aus den Händen der Polizei (des vatikanischen Gendarmeriekorps) befreien können. Zudem geht im kleinsten Staat der Erde mit etwas mehr als 800 Einwohnern alles doch etwas persönlicher zu.“

„Wir sitzen mit mehreren Personen beim Abendessen in einem Hotel in der Nähe des Vatikans, weil wir am nächsten Morgen mit dem Papst sprechen wollen. Das Telefon klingelt. Ich sage noch spaßeshalber: ‚Leise, es ist der Papst.‘ Und er war es wirklich! Er wollte wissen, ob bei uns alles in Ordnung sei, ob wir gut untergebracht seien, ob es bei der Uhrzeit bleibe. Und dann, unvergesslich: ‚Kann ich sonst noch etwas für euch tun?‘ Wie jemand, der Freunde in seine Wohnung eingeladen hat und sicher gehen will, dass sich alle wohlfühlen. Als gäbe es keine Einlasskontrolle, keine italienische und vatikanische Polizei, keine Schweizer Garde, keine Verwaltung, und vor allem so, als hätte er sonst nicht viel zu tun.“

„Wenn er sich auf einen Stuhl setzt, hört man von ihm häufig den Scherz dass das, was er jetzt sage, nicht ‚ex cathedra‘ sei. Man hat das Empfinden, dass er selbst am meisten über seinen Witz lacht, dann die Protestanten lachend folgen, konservativere Katholiken sich aber mit so einem Witz schwer tun. Nach katholischer Lehre ist der Papst in seiner Lehre nur dann unfehlbar, wenn er sie ‚ex cathedra‘, ‚vom Stuhl aus‘ verkündet – gemeint ist allerdings natürlich der Bischofsstuhl im Petersdom.“

„Genau das ist übrigens ein Empfinden, dass ich von sehr vielen, sehr unterschiedlichen Menschen gehört habe. Man hat einfach das Empfinden, im Moment der einzige Mensch auf der Welt zu sein, für den er Zeit hat und für den er sich interessiert. Das geht Freund und Feind so, Katholiken wie Nichtkatholiken, Christen wie Nichtchristen, politischen Schwergewichten wie den Ärmsten der Armen. Nie hat man das Gefühl, der Papst müsste jetzt schnell weiter. Seine Umgebung kann das durchaus vermitteln (und hat in der Regel auch Grund dazu), aber Franziskus konzentriert sich unbeirrt auf den einen Menschen vor ihm.“

„Deutschsprachige Kardinäle sind im Übrigen unter den Vertrauten des Papstes eindeutig überrepräsentiert. Da sind aus Deutschland vor allem die Kardinäle Reinhard Marx, Walter Kasper und Georg Ludwig Müller zu nennen, aus der Schweiz und Österreich die Kardinäle Kurt Koch und Christoph Schönborn. Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, ist als Mitglied des Rates der acht Kardinäle und als Kardinal-Koordinator des neu geschaffenen Päpstlichen Wirtschaftsratssekretariats, das erstmals zentral alle Finanzaktivitäten des Vatikans zugleich erfasst, einer der einflussreichsten Männer im Vatikan.“

Eine Neuausrichtung des Papsttums – das Ende des Kaiserpapstums

In einer seiner Morgenmessen predigte er: „‚Der Triumphalismus in der Kirche bringt die Kirche zum Stillstand‘, fuhr der Papst fort. ‚Der Triumphalismus von uns Christen blockiert die Christen. Eine triumphalistische Kirche ist eine Kirche, die auf halbem Wege stehen bleibt.‘ Eine Kirche, die sich damit begnügt, ‚gut eingerichtet zu sein, mit allen erforderlichen Büros, alles in schöner Ordnung, alles schön, effizient‘, die aber die Märtyrer verleugnet, wäre eine Kirche, die ausschließlich an die Triumphe, an die Erfolge denkt; eine Kirche, die sich nicht jene Regel Jesu zu eigen gemacht hat: die Regel des Triumphs, der auf dem Weg über das Scheitern erfolgt.“

„Der Papst geht auf die Evangelikalen einschließlich der Pfingstler zu, wie wir noch an etlichen Beispielen sehen werden. In gewissem Sinne sind sie die größten ‚Konkurrenten‘ auf dem weltweiten christlichen Markt.“

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2 Kommentare

  1. Gilbert Steurer sagt:

    Sehr geehrter Herr Schirrmacher, ich kann in diesem Artikel, alles nachvollziehen und es klingt auch gut und positiv, wie sie Papst Franziskus erfahren und wahrnehmen. Sie wissen aber sicher auch, dass es nicht die Person des Papstes selbst, sondern dass Amt als Solches ist, welches in jeder Hinsicht von Relevanz ist. Dass wird die rk. Kirche sich aber nicht nehmen und verändern lassen. Somit wird es keinen „positiven und gemeinsamen“ dritten Weg, mit dieser Kirche für uns Evangelikale geben können. Ich weise in diesem Zusammenhang auf Offenbarung 17 hin, wo dieser Weg des weltweit gemeinsamen politischen und religiösen Zusammenschlusses ja vorausgesagt wird. Wir Evangelikalen sollten nüchtern und realistisch sein. Ich bete um Weisheit für sie, in dieser sehr verantwortungsvollen Position, welch sie inne haben. HG aus Österreich von einem (besorgten) Bruder im HERRn, Gilbert Steurer

    • Schirrmacher sagt:

      Ich habe mich im Laufe meines Lebens sehr oft sehr deutlich zum Amt des Papstes an sich geäußert (erstmals sehr deutlich: „Hat sich die katholische Kirche geändert? Zum neuen katholi­schen Kir­chenrecht“. Licht und Leben 95/1984 9: 1941–1942; Nachdruck in Bibel und Gemeinde 89/1989 2: 181–207; oder in meinen Büchern „Ethik“, „Der Papst und das Leiden“, „Der Ablass“). Aber schon die Reformatoren haben deutlich zwischen der Einschätzung des Amtes und eschatologischen Fragen an sich unterschieden, und mit konkreten Amtsträgern der römisch-katholischen Kirchen, verhandelt, geredet und ihnen Unterstützung zukommen lassen, etwa bei den zwei Reformversuchen des Erzbischofs von Köln im 16. Jahrhundert.

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