Natürlich durfte mein Beitrag zum 500. Geburtstag Calvins nicht fehlen. Vor allem war da die von mir herausgegebene deutsche Neuausgabe der 1. Auflage seines Hauptwerkes ‚Institutio’ unter dem Titel „Christliche Glaubenslehre“. Aus Anlass von deren Erscheinen hat jetzt der Arbeitskreis für evangelikale Theologie (AfeT) meinen Artikel „Zur ökumenischen Bedeutung von Johannes Calvin“ in der Zeitschrift ‚evangelikale theologie’ 15 (2009) 1 (Mai) S. 5–9 abgedruckt: Download

Mit einem Auszug daraus möchte ich darauf verweisen, wieviele Anregungen ich zum Gedanken der Komplementarität biblischer Wahrheiten Calvin verdanke:

Die Komplementarität der calvinischen Lehre

Francois Wendel hat vertreten, dass Calvin keinen theologischen Hauptgedanken vertritt, sondern nacheinander verschiedene biblische Begriffe bespricht, die nicht immer logisch miteinander vereinbar sind. Es ist Calvin wichtiger, so Wendel, die biblischen Inhalte zu vermitteln, als ein logisch-systematisches System zu entwerfen.

Was ich in meiner Dogmatik ‚Komplementarität’ nenne, nennen Alexandre Ganoczy und Paul Helm etwa „Dialektik“. Calvin, so Ganoczy, will einfach das Wort Gottes in seiner ganzen Fülle präsentieren, und keine rational sortierte Zusammenstellung, weswegen er oft biblische Sachverhalte einfach nebeneinanderstellt. Eva-Maria Faber hat ihre Habilitationsschrift „Symphonie von Gott und Mensch: Die responsorische Struktur von Vermittlung in der Theologie Johannes Calvins“ genannt.

Hein Langhoff meint zu Recht, dass Calvin gezeigt hat, dass christliche Lehre auch die in der Heiligen Schrift „für unseren Verstand widersprüchlichen Aussagen einfangen kann. Er gab Gott auch dadurch allein die Ehre, daß er nicht weniger, aber auch nicht mehr sagen wollte als Gottes offenbarte Wahrheit. Ohne krampfhafte Harmonisierungsversuche ließ er unterschiedliche Seiten der Botschaft Gottes, zwischen denen sein Denken keine Einheit herstellen konnte, nebeneinander stehen.“

Die ‚Instititio’, so Calvin in einer späteren Ausgabe, will nur „zur Lektüre des Wortes Gottes vorbereiten und Anweisung geben“. Die Institutio, so der Calvinforscher Otto Weber, „will nicht geistreiche … Gedanken über Gott und Mensch und Welt, über Christus und die Kirche vorbringen, sondern Auslegung der heiligen Schrift sein“ und deswegen ihre Komplementarität so wiedergeben, wie sie sich in der Offenbarung darbietet.

Dies gilt auch für Calvins Sicht von Erwählung und Prädestination. Ralph C. Hannock und Wilhelm-Albert Hauck haben gezeigt, daß die Prädestinationslehre für Johan nes Calvin das Ethos, also das verantwortliche Handeln nach den Maßstäben Gottes, nicht bremst oder schmälert, sondern gerade begrün det. Hauck faßt Calvins Position zusammen: „Die recht verstandene Prädestinationslehre, auf die sich die Erwählungs- und Heilsge wißheit der Gläubigen gründet, kann niemals ein echtes Ethos zerstören. Sie wirkt viel mehr durch ihre Ausrichtung auf Gottes hei­ligen Willen, der mit der Erkenntnis auch die Kraft zur Er füllung schenkt, ethosbegründend, ethoserhaltend und ethosvollen dend. Dies beweist übri gens auch ein Blick in die Geschichte des vom sitt lichen Ernst und höchstem ethischen Aktivismus getragenen Calvi nismus …“

Auch H. Henry Meeter hat darauf hingewiesen, daß Calvin und die Calvinisten nicht nur die Prädestination stärker betonen als an dere, sondern auch die menschliche Ver antwortung. So wurde ih nen gleichermaßen der Vorwurf gemacht, die Prädestination zu sehr zu betonen und deswegen Fatalisten zu sein, wie die Verant wortung zu sehr zu betonen und deswegen gesetzlich zu sein! Laut Reinhold Seeberg „ergibt sich ein eigenartiges Gleichgewicht zwischen der religiösen Abhängigkeit des Menschen und seiner sittlichen Aktivität“.

Paul Jacobs verweis bereits 1937 darauf, dass kein Reformator die Ethik breiter behandelt hat und oft die Ethik erst im Nachgang mit dem Hinweis auf Gottes Vorsehung begründet und ermöglicht wird.

 

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