Esther Gajek in Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1996: 213–214

Zu: Thomas Schirrmacher, „Der göttliche Volkstumsbegriff“ und der „Glaube an Deutschlands Größe und heilige Sendung“. Hans Naumann als Volks­kundler und Germanist im Nationalsozialismus. 2 Bände. Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft, 1992.

Reinhard Schmook, „Gesunkenes Kulturgut – primitive Gemeinschaft“. Der Germanist Hans Naumann (1886–1951) in seiner Bedeutung für die Volkskunde. Wien: Helmut-P. Fielhauer-Freundeskreis, 1993. 214 S. (Beitr. zur Volkskunde u. Kulturanalyse, Bd. 7).

Hans Naumann, einer Schlüsselfigur der Volkskunde und Germanistik der zwanziger/dreißiger Jahre, sind zwei Dissertationen gewidmet, die fast gleichzeitig erschienen, ähnlich aufgebaut sind, sich aber völlig in Ansatz, Umfang und vor allem in ihrer Qualität voneinander unterscheiden.

Wer die Wahl zwischen den beiden Dissertationen zu Hans Naumann hat, dem sei ausdrücklich die Arbeit von Thomas Schirrmacher empfohlen, die an der Pacific Western University, Los Angeles, angenommen wurde. Sie überzeugt in jeder Hinsicht: methodisch (vom biographischen Ansatz, chro­nologischen Aufbau über die Genauigkeit der Belege und Nachweise, dem ausführlichen Referieren und überzeugenden Kommentieren sowie Einschätzen der Quellen) und inhaltlich mit ihrer Schilderung der Widersprüche bei Hans Naumann: Er huldigte gleichzeitig dem „Führer“ und wurde von Nationalsozialisten an der Universität und im Amt Rosenberg erbittert bekämpft; er war in Universitätskreisen eher umstritten, genoß aber vor allem in der breiten Öffentlichkeit durch seine zahlreichen Reden hohes Ansehen; seine Theorie vom gesunkenen Kulturgut löste zwar breite Diskussionen in der Fachwelt aus, war aber doch nur sehr eingeschränkt wirksam.

Schirrmacher hat mit seiner Arbeit über Hans Naumann einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Volkskunde geleistet. Was er selbst – fast ein wenig tiefstapelnd – im Untertitel als „Materialsammlung“ bezeichnet, stellt sich einmal als umfassende und qualitätvolle Biographie und Einordnung von Hans Naumann mit vielen neuen Erkenntnissen und Ergebnissen dar (vgl. v.a. die Zusammenfassung 419-428 und das Kapitel zu Naumanns „Führerreligion“ 429-450). Außerdem bietet der Autor durch seine reichen Bezüge im Text, durch ein ausgezeichnetes Namensregister und einen hervorragenden Anhang ein Kompendium der Volkskunde und Germanistik der zwanziger und dreißiger Jahre. Der Leser/die Leserin kann sich mit Hilfe des wohldurchdachten, detaillierten Inhaltsverzeichnisses bestimmten Themen widmen (z. B. Bonner Universitätsgeschichte, Vorbilder der Theorie vom „Gesunkenen Kulturgut“ im Bereich der Ethnologie und Soziologie, Beurteilungen Naumanns im Schrifttum, Chronik der Kölner Volks-kunde, Bonner volkskundliche Dissertationen, Urteile über Naumann in den Akten nach 1945), wenn er/sie nicht – von der sachlichen, fundierten Art der Darstellung gefangengenommen – eintaucht in das Leben eines Wissenschaftlers und dessen „gläubiges“ Wissenschaftsverständnis einer „Deutschkunde“, die Germanistik, Volkskunde und Politik (unheilvoli) miteinander verband, im „Glauben an Deutschlands Größe und heilige Sendung“ (Naumann).

Thomas Schirrmacher betreibt vorbildlich Wissenschaftsgeschichte. Es bleibt nur zu hoffen, daß er viele LeserInnen und NachahmerInnen findet.

Esther Gajek, Regensburg

Mitteilungen des Marbacher Ar­beitskreises für Geschichte und Germanistik (Deutsches Litera­turarchiv Marbach am Neckar) 7+8/1994 (15.11.): 29

Zu: Thomas Schirrmacher. „Der göttliche Volkstumsbegriff“ und der „Glaube an Deutsch­lands Größe und heilige Sen­dung“: Hans Naumann als Volkskundler und Ger­manist unter dem Nationalsozialis­mus. 2 Bände. Verlag für Kul­tur und Wissenschaft: Bonn, 1992.

Die Dissertation (Pacific Western University, Los Angeles) besteht im we­sentlichen aus einer immensen Materialsammlung, die Leben, Werk und Wirkung von Hans Naumann aufgrund publizierter und archivalischer Quellen dokumentiert und kommentiert. Zudem werden umfangreiche Bi­bliographien, Verzeichnisse der Lehrveranstaltungen sowie Daten zur insti­tutionellen Verankerung der Volkskunde in Bonn und Köln mitgeteilt. Ge­genüber diesen mehr als 500 Seiten, die zahlreiche Richtigstellungen und viele interessante Details enthalten, nimmt sich die „zusammenfassende Be­urteilung in 30 Thesen“ (S. 419-428) bescheiden aus. Naumann habe vor allem als ‚genialer‘ Anreger gewirkt, der mit seinem volkskundlichen Haupt­werk (1921/22) in erster Linie die Diskussion fokussierte, dessen Theorie aber selbst von seinen Schülern mindestens differenziert wurde. Die unge­brochene religiöse Begeisterung für Hitler „bei gleichzeitiger Ablehnung des nationalsozialistischen Mythos“ (S. 427) ließ ihn den Nationalsozialismus unterstützen, „ohne ihn eigentlich ideologisch gelten zu lassen“ (S. 428).

 

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert