Artikel aus dem in Kürze erscheinenden dritten Band der Neuauflage von Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Bd. 3. Brockhaus: Wuppertal, 2025
Eine frühere Version erschien als „Schicksal“. S. 1763–1764 in: Helmut Burkhardt, Uwe Swarat, ed. Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Bd. 3. Brockhaus: Wuppertal, 1994]
Schicksal (S.), im 16. Jh. aus dem Niederländischen entlehnt, meint einen nicht von Menschen festgelegten, sondern ihnen zugewiesenen Verlauf der Geschichte insgesamt und des Einzellebens, gleich ob dies keinen Sinn zu ergeben scheint und aber mit göttlichen oder übermenschlichen Absichten erklärt wird. Der S.sglaube kann vage und unbestimmt sein, oder wie in der → Astrologie, der seit Jahrtausenden weltweit am weitesten verbreiteten S.sglauben, in ein festes System gegossen sein. Alle Gottesvorstellungen beinhalten, dass Gott oder die Götter das Schicksal bestimmen oder von ihm bestimmt werden. Verschiedene religiöse und nichtreligiöse S. vorstellungen in einer Kultur überlappen sich oft gegenseitig. Jede Kultur hat ihr eigenes S.sverständnis, das nicht unbedingt von der offiziell vorherrschenden Religion bestimmt wird, sondern oft dem Volksglauben oder früheren indigenen Religionsvorstellungen folgt. Eine Geschichte der S.svorstellung wäre demnach zugleich eine Religionsgeschichte, aber auch eine Kulturgeschichte. Die Bedeutung von S.vorstellungen für die Einstellung zu sozialen, wirtschaftl. und polit. Fragen und ihr Einfluss auf historische Akteure ist bisher viel zu wenig in der historischen Forschung berüchsichtigt worden. In der westlichen Philosophie spielt das S. erst im 20. Jh. eine Rolle, so vor allem bei → Heidegger.
Wenn das Schicksal nicht von einer höheren Macht beeinflusst gedacht wird oder aber das von höheren Mächten festgelegte Schicksal sinnlos, zufällig, unberechenbar, unveränderbar und unbeeinflussbar erscheint, spricht man von Fatalismus. Das vom lat. fatum (S.) abgeleitete französische fatalisme bekommt seit 1724 die engere Bedeutung der Sinnlosigkeit, die Immanuel Kant dann klassisch als die Sicht „einer blinden Notwendigkeit bei Entstehung and Ablauf der Welt“ beschreibt. S. kann also Fatalismus bedeuten, aber auch die Steuerung durch eine höhere Macht, z. B. durch Gott bedeuten, ja oft wurde sogar S. für das von Gott Geschickte, auch in der christlichen Sprache, wo S. ebenso wie Vorsehung stellvertretend für Gott und seine Absichten verwendet werden konnte.
In vielen Religionen (z.B. in Babylon, Ägypten, dem Islam) wird das S. von den Göttern festgelegt. Umgekehrt wird in vielen Mythologien das Schicksal personifiziert und als übernatürliche Macht dargestellt. Für das Abendland bedeutsam sind drei Religionen geworden, in denen das unpersönliche oder personifizierte S. in der Hierarchie an oberster Stelle über den Göttern stand. In der → römischen Religion war fatum eine unkontrollierbare und unberechenbare Macht, der sich sogar die Götter zu fügen hatten. In der → griechischen Religion war moira sowohl eine persönliche Geburtsgöttin, die das Leben des einzelnen vorherbestimmte, als auch ein die Geschichte bestimmendes Prinzip. Auch hier vollstrecken die Götter nur das S. Im germanischen Glauben stand das S., personifiziert in den drei Nornen und anderen weiblichen Wesen, die den S.sfaden spinnen, über den Göttern. Neuere Studien zur germanischen Religion verneinen allerdings die zentrale Rolle des S. bei den Germanen. Der germanische S.sglaube lebte im Nationalsozialismus in einer ahistorischen Form vorübergehend neu auf, da sich Hitler als der vom S. gesandte und beschützte Führer darstellte, wobei er S. und „Vorsehung“ oft mit Gott gleichsetzte und meinte, dass S. durch Akte von Stärke und Sieg beeinflussen zu können.
Im westlichen Christentum wurde das S. (fatum) der göttlichen Vorsehung unterordnet (Augustinus, Boethius, Thomas v. Aquin) und wurden S. und Vorsehung Ausdrücke, um auf die Allwirksamkeit Gottes hinzuweisen. Die bibl. Offenbarung spricht von einem allmächtigen Gott, der die Geschichte der Welt ebenso wie das Leben der enzelnen Gläubigen lenkt und zu einem guten Ziel führt. Dieser Glaube an die Vorherbestimmung unterscheidet sich von anderen Auffassungen des S., (1) indem die Vorherbestimmung der Ereignisse auf einen persönlichen Gott zurückgeht, der nicht willkürlich, sondern begründet und verantwortlich auf ein Ziel hin plant und handelt (Heilsgeschichte), weswegen (2) von Gott her gesehen alle Ereignisse einen Sinn haben, zum Guten des Christen dienen und in ihm deswegen das Vertrauen, nicht die Verzweiflung wecken (Röm 8,28), und (3) das Wissen um die Vorherbestimmung und um die Allmacht Gottes nicht zum Fatalismus führt, sondern gerade die Verantwortung des Einzelnen begründet (Phil 2,12–13; Neh 2,20; Apg 27.22–24.31). Offen bleibt dabei allerdings das Verhältnis von Gottes Vorherbestimmung und Festlegung der Ereignisse zu einem freien Willen des Menschen, eine der wichtigsten Diskussionen der gesamten Theologie- und Philosophiegeschichte des Christentums.
Lit.: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens 7, 2. Aufl. 1987, 1045–1055; RGG3 V, 1403–1410; M. Tworuschka: „Fatalismus“, Hb. religionswissenschaftlicher Grundbegriffe Bd. 2 1990: 422–424; G. Mensching: Der Schicksalsgedanke in der Religionsgeschichte, 1942; J. I. Packer: Prädestination und Verantwortung, 1964; Th. Schirrmacher: Ethik, 1994, Bd. 1, 137–188; K. P. Fischer: Schicksal in Theologie und Philosophie, 2008; F. Rehlinghausen: Die Semantik des Schicksals, 2015.
Thomas Paul Schirrmacher
Schreiben Sie einen Kommentar