Das Indonesien von 1979, als ich es erstmals für drei Monate bereiste und das Indonesien meines letzten Besuches Ende 2011 unterscheiden sich spürbar. Ähnlich wie in Indien ist das traditionell tolerante Denken anderen Religionen gegenüber plötzlich von fundamentalistischen Gewalttätern überlagert. Weit mehr als 200 Mio. Einwohner haben die Sorge, dass die Arabisierung des Islams zu immer größeren Spannungen führt und es ist ihnen peinlich, dass ihr Land durch islamistische Gewalt so oft in die internationalen Medien kommt. Denn: „Nach wie vor versuchen die fundamentalistischen Muslime, die indonesisch-javanische Kultur der Toleranz durch ein arabisch geprägte Kultur der Intoleranz zu ersetzen.“[1]

Angesichts der ungeheuren Vielfalt des Landes und der unterschiedlichen Kolonial- und Unabhängigkeitsgeschichte zahlreicher Inseln ist es fast unmöglich, pauschale Aussagen für das ganze Land zu machen. Die konservativ-islamische Insel Aceh, auf der die Scharia als Strafgesetz gilt, hat in Bezug auf unser Thema kaum etwas mit der vorwiegend hinduistischen Insel Bali oder den katholischen Gebieten in Sulawesi gemein. Durchgängig aber gilt, dass die Gewalttaten gegen Nichtmuslime nicht von der Bevölkerungsmehrheit ausgeht, die traditionell friedlich mit anderen Religionen zusammenlebt, auch nicht von der Regierung, sondern von einem kleinen Prozentsatz an Islamisten, die sich am arabischen Islam und besonders an Saudi Arabien orientieren. Praktisch alle Führer von Parteien, Organisationen und Freikorps, die sich gegen Ahmaddiyyas und Christen wenden, haben ihre Ausbildung in Saudi-Arabien oder in von Saudi-Arabien in Indonesien unterhaltenen Institutionen erhalten. Sie erreichen – unterstützt mit hohem Geldeinsatz aus der arabischen Welt – eine schleichende Islamisierung, ja Wahhabisierung des Landes, auch, weil andere Parteien auf ihre Forderungen im Wahlkampf Rücksicht nehmen müssen.

Diese schleichende Whabisierung Indonesiens beginnt, die lange Tradition der religiösen Toleranz und Religionsfreiheit in Indonesien anzugreifen. Die einst vorherrschende mystische Variante des Islam (‚abangan‘) wie auch die Verquickung des Islam mit vorislamischen animistischen Elementen und der javanischen Kejawan- bzw. Kebatinan-Mystik[2] bestimmt zwar immer noch die große Mehrheit der Einwohner, verliert aber erkennbar an Einfluss auf Politik, Gesetzgebung, Schulwesen und Sozialarbeit. Der Druck der Fundamentalisten auf die tolerante Bevölkerungsmehrheit nimmt zu. Der Extremismus hat in Indonesien wenig Unterstützung, aber große Wirkung.

Ausgangspunkt der Islamisierung und der Bedrängung religiöser Minderheiten ist also der saudische Wahhabismus. Noorhaidi Hasan, Professorin an der ‚Sunan Kalijaga Islamic University‘ in Yogyakarta (Indonesien) ist die beste Kennerin der islamistischen Beeinflussung Indonesiens durch den Wahhabismus und dazu dazu mehrere sehr gründliche Untersuchungen vorgelegt.[3] Denn es gibt in Indonesien viele muslimische Vordenker und Verantwortliche, die für Religionsfreiheit eintreten und die Entwicklung des Landes mit sorge betrachten.

Unter dem Deckmantel der islamischen Solidarität und Bruderschaft investiert Saudi-Arabien enorme Summen in Indonesien für den Moscheebau, den Bau islamischer Schulen und für Aktivitäten der da’wa-Organisationen zur Propagierung des Islam. Sehr einflussreich ist das 1980 in Jakarta gegründete und von Saudi-Arabien unterhaltene ‚Institute for the Study of Islam and Arabic‘ (LIPIA). So studierte Ja’far Umar Thalib (Jahrgang 1961), der Gründer der berüchtigten 300köpfigen Terrorgruppe Laskar Jihad[4], zusammen mit anderen Führern von Terrorarmeen am LIPIA. (Außerdem studierte er am ‚Islamic Mawdudi Institute‘ in Lahore, Pakistan).[5] Die prominenteste der gewaltbereiten Gruppen in Indonesien ist die ‚Front Pembela Islam‘ (‚Islamic Defenders Front‘, FPI), die nicht zufällig von dem in Saudi-Arabien ausgebildeten Muhammad Riziew Syihab 1998 gegründet wurde.

Die Wahhabisierung kommt auch in der zunehmend an der arabischen Sichtweise der Scharia orientierten Auffassungen vieler Bürger zum Ausdruck. „Seit ein paar Jahren bemerken Beobachter zudem, dass sich die Beziehungen zwischen dem muslimisch-sunnitischen Mainstream und Angehörigen religiöser Minderheiten sowie nicht-orthodoxen Muslimen verschlechtern. Das Meinungsforschungsinstitut LSI (Lembaga Survei Indonesia) hat beispielsweise 2007 in einer Studie gezeigt, dass 33 Prozent der Befragten Maßnahmen unterstützten, die typischerweise zu den Zielen islamistischer Organisationen zählen. So waren 43 Prozent für Steinigungen bei Ehebruch, 25 Prozent für die Pflicht zum Tragen eines Kopftuches, 34 Prozent für das Handabschlagen bei Diebstahl, 39 Prozent für das Zinsverbot, und 22 Prozent waren der Meinung, dass eine Frau nicht das Präsidentenamt übernehmen dürfe. Zu durchaus vergleichbaren Ergebnissen gelangte der Muslim Youth Survey 2010, der im November 2010 vom LSI in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und der Friedrich-Naumann-Stiftung erstellt wurde.“[6]

In der vom Tsunami seinerzeit schwer getroffenen Insel und Provinz Aceh, die immer schon die Heimat eines viel radikaleren Islam war, als im Rest von Indoensien, ist die Scharia bereits Gesetz und zwar ausdrücklich auch im Strafrecht. Theoretisch Nichtmuslime nicht der Scharia unterstellt. Tatsächlich aber macht die Schariapolizei (nach dem Vorbild Saudi-Arabiens und des Iran) meist vor niemandem Halt.[7] Human Rights Watch hat in einem Bericht vom 1.12.2010 Beispiele gesammelt, wie die Schariapolizei Muslime wie Nichtmuslime bedrängt, bedroht und missbraucht.[8]


[1] Pebri und Christian Goweiler. „Christen und Muslime in Indonesien“. Märtyrer 2010. VKW: Bonn, 2010. S. 209-212, hier S. 209.

[2] Thomas Schirrmacher. „Javanische Mystik“. Factum 10/1987: 3-6.

[3] Siehe ihre Veröffentlichungsliste unter  http://www.kitlv.nl/home/Projects?id=14 (15.3.2012). Besonders zu nennen sind: Noorhaidi Hasan. „The Failure of the Wahhabi Campaign: Transnational Islam and the Salafi Madrasa in Post 9/11 Indonesia“. South East Asia Research 18 (2010): 675-705; Noorhaidi Hasan. „The Drama of Jihad: The Emergence of Salafi Youth in Indonesia“. S. 49-62 in: Linda Herrera, Asef Bayat (Hg.). Being Young and Muslim: New Cultural Politics in the Global South and North. Oxford: Oxford University Press, 2010; Noorhaidi Hasan. Islamist Party, Electoral Politics, and Da’wa Mobilization among Youth: The Prosperous Justice Party (PKS) in Indonesia. RSIS Working Paper 184. Singapore: Rajaratnam School of International Studies, 2009; Noorhaidi Hasan. „Saudi expansion, Wahhabi campaign and Arabised Islam in Indonesia“. S. 263-281 in: Madawi al-Rasheed (Hg.). Kingdom without Borders, Saudi Political, Religious and Media. London: Hurst, 2008.

[4] Noorhaidi Hasan. Laskar Jihad: Islam, Militancy and the Quest for Identity in Post-New Order Indonesia. Leiden: ISIM, 2005.

[5] Noorhaidi Hasan. „Transnational Islam in Indonesia“. a. a. O. S. 124. Vgl. Frauke-Katrin Kandale. Der Islam in Indonesien nach 1998 am Beispiel der Partai Keadilan Sejahtera. Berlin: Regiospectra, 2008.

[6] Andreas Ufen. „Politischer Islam in Indonesien seit 1998“.Aus Politik und Zeitgeschichte 62 (2012) 11-12: 30-36, S. 31.

[7] Kristina Großmann u. a. „Aceh nach Konflikt und Tsunami“. Aus Politik und Zeitgeschichte 62 (2012) 11-12: 37-43.

[8] http://www.hrw.org/news/2010/11/29/indonesia-local-sharia-laws-violate-rights-aceh, der ausführliche Bericht „Policing Morality: Abuses in the Application of Sharia in Aceh, Indonesia“ unter http://www.hrw.org/sites/default/files/reports/indonesia1210WebVersionToPost.pdf.

 

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