Eine Stellungnahme des WEA-Generalsekretärs
Im Folgenden wird eine Stellungnahme des Generalsekretärs der Weltweite Evangelischen Allianz (WEA), Bischof Prof. Dr. Thomas Schirrmacher, zu einem Leserbrief von Pfarrer Reinhard Möller in IDEA 30/31 vom 26.7.2023 (S. 42) wiedergegeben.
Die Stellungnahme
Gewissermaßen nur aus dem Sessel heraus und deswegen nur Informationen aus dem Internet kennend den Einsatz der Weltweiten Evangelischen Allianz gegen Christenverfolgung und für Religionsfreiheit als „schockierende ethische Blindheit“ zu verunglimpfen, ist schon herb. Sich dabei auf einen Mann aus der Trump-Administration zu berufen, Johnnie Moore, der schon lange verlangt, dass die WEA ihre Menschenrechtsbüros in Genf und New York schließen muss, da wir mit der UN nichts zu tun haben sollten, und der uns kürzlich bei unserem Einsatz gegen die zunehmende Christenverfolgung in Indien in den Rücken gefallen ist, passt nur ins Bild. Er hatte nämlich bei einem offiziellen Besuch bei der indischen Regierung in internationalen Medien die Überzeugung vertreten, dass Premierminister Modi alle religiösen Minderheiten in Indien schütze und die Lage der Religionsfreiheit in Indien gut sei.
Ja, auf Einladung von Iran und Pakistan haben wir innerhalb des UN-Menschenrechtsrats unsere Sicht der Dinge dargelegt, übrigens unterstützt von Beiträgen von hochrangigen Referenten des Hohen Kommissars für Menschenrechte der UN und des Hohen Kommissars für Flüchtlinge der UN. Die Vertreter vieler Staaten haben dem zugehört. Der Vorgang beweist, welch wichtige Stellung die WEA dort hat. Die WEA hat immer schon mit allen Staaten geredet und gleichzeitig Öffentlichkeit hergestellt und Opfer sichtbar gemacht. Als 1853 der türkische Sultan einen Konvertiten köpfen ließ, organisierte die Evangelische Allianz nicht nur europaweite Proteste, sondern besuchte die Hohe Pforte und gewann sogar den russischen Zaren, der selbst seinerseits Protestanten unterdrückte, zu einem Protest. Seit 175 Jahren hat die Evangelische Allianz immer sowohl öffentlich protestiert und sich mit Opfern öffentlich solidarisiert als auch mit den „Feinden“ direkt gesprochen.
Ich habe mit den höchsten islamischen Führern des Iran gesprochen, mich jüngst mit der Delegationsleitung des iranischen Parlaments in Marrakesch getroffen, und wir haben geholfen, den christlichen Abgeordneten des iranischen Parlaments einen Besuch in Berlin sowie im Deutschen Bundestag zu ermöglichen. Wir führen einen offiziellen Dialog mit schiitischen Religionsführern, bei Lage der Dinge geht das kaum, ohne staatliche Stellen zu involvieren. Was Pakistan betrifft, habe ich mehrfach mit dem Innenminister und dem Religionsminister gesprochen und mit dem Großmufti mehrfach auf einem Panel gesessen. Ich war in Saudi-Arabien, und wir haben Veranstaltungen mit der Muslim World League durchgeführt, wo wir die Lage der Konvertiten diskutierten.
Ich habe in der Parteihochschule der Kommunisten in Vietnam eine Gastvorlesung über Religionsfreiheit gehalten, übrigens auf Vermittlung des Deutschen Bundestages. Bei allen Problemen, die es in Vietnam noch gibt: Von meinem Einsatz führt ein Weg zur Großevangelisation von Franklin Graham in Vietnam.
Ich weiß, was wir durch diese persönlichen Kontakte für unsere Kirchen erreichen, manchmal sogar Leben retten. Und unsere Kirchen, zum Beispiel im Iran, in Pakistan oder Vietnam, erwarten genau das von uns: dass wir jede Gelegenheit zur Verbesserung nutzen, nicht aber dass wir uns an Kritikern vom Sofa aus orientieren. Als Kirchen steht uns das Arsenal von Staaten nicht zur Verfügung, wie Militär oder Sanktionen oder diplomatische Absprachen – und das ist auch gut und richtig so. Deshalb gilt aber: Ohne Gespräche mit Freund und Feind können wir nichts erreichen.
Und was war der Anlass der Kritik? Die Allianz hätte zwar gegen die „Koranverbrennung im fernen Schweden“ protestiert, die „Bibelverbrennung im nahen Bern“ sei aber offenbar „kein Thema“ gewesen. Hier der offizielle Text unseres erwähnten Statements im UN-Menschenrechtsrat, bei dem unser Sprecher gewissermaßen die ganze Christenheit mit vertrat: „Die Weltweite Evangelische Allianz, der Ökumenische Rat der Kirchen und Caritas International verurteilen jede Entweihung, Zerstörung oder Missachtung heiliger Texte sowie religiöser Gegenstände oder Kultstätten“. So wurde es auch bei IDEA korrekt berichtet. Text und Video des Statements sind bei der UN archiviert. Wie kann man daraus lesen, wir wollten nur den Koran schützen? Die WEA hat sich im Übrigen oft gegen Bibelverbrennungen eingesetzt, etwa in Malawi oder Indien.
Zurück zur Ausgangsfrage: Warum hat die Allianz nicht auch gegen die erwähnte – und fraglos ebenso zu kritisierende! – Bibelverbrennung in Bern protestiert? Erstens haben wir sowieso keinen Anspruch, lückenlos bei jeder Verbrennung heiliger Texte zu protestieren. Zweitens ist unser Genfer Büro zwar geografisch vergleichsweise nah an Bern, ist aber nun gewiss nicht spezifisch für Lokalpolitik zuständig, weshalb die geografische Nähe oder Ferne eines Ereignisses zum Genfer Büro schlicht irrelevant ist. Und drittens – und das ist der wichtigste Grund: Durch die vorbildliche Reaktion der betroffenen Christen in Bern, die völlig friedlich geblieben sind und keinerlei Öl ins Feuer gegossen haben, ist diese Bibelverbrennung am Ende von ihrer Wirkung her gänzlich ins Leere gelaufen – und hat von daher über den lokalen Horizont hinaus faktisch kaum Bedeutung gehabt. Das war bei den Koranverbrennungen in Schweden eben aus bekannten Gründen anders.
Nebenbei: Den Berner Vorfall konnte ich nur mühsam recherchieren, bei unserem Partner, dem katholisch orientierten „Dokumentationsarchiv der Intoleranz gegen Christen“ in Wien, habe ich den Vorfall nicht gefunden, kein Wunder, dass unsere englischsprachigen Experten nichts davon wussten.
Schließlich hat mich dann doch einmal interessiert, ob die freie Gemeinde in Aesch, die der Autor leitet, gegen die Bibelverbrennung protestiert hat oder der Verfasser selbst irgendwie aktiv wurde, nur um festzustellen, dass hier überhaupt jeder Einsatz gegen Christenverfolgung fehlt.
Christianity Today hat mich kürzlich gefragt, wo die rote Linie für uns ist. Wir werden keine Gespräche oder Zusammenarbeit akzeptieren, wenn der Preis ist, dass wir Dinge schönreden müssen oder uns nicht mehr für Opfer einsetzen dürfen. Wir lehnen Korruption ab und damit auch Versuche, unser Schweigen oder Beschönigen zu erkaufen. Aber ich bitte auch zu berücksichtigen: Wenn die rote Grenze wäre, dass wir nicht mit Staaten reden, die Christen zu Märtyrern machen oder wegschauen, wenn Christen in ihrem Land umgebracht werden, dürften wir mit Dutzenden von Staaten nicht sprechen, die mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen.
2 Kommentare
Vielen Dank für Ihren so wichtigen und wertvollen Einsatz. Lassen Sie sich nicht entmutigen!
Danke! .