Petra Kolonko hat in ihrem Buch Maos Enkel: Innenansicht aus dem neuen China (München: C. H. Beck, 2009) eine faszinierende Gesamtschau Chinas geliefert, die ihresgleichen sucht. Die vielen positiven Entwicklungen werden genauso verständlich gemacht wie die Ursachen für viele Fehlentwicklungen und sich anbahnende Katastrophen.

Erstaunlich direkt und kritisch spricht sie die Probleme der Ein-Kind-Politik an. Am bekanntesten ist dabei die Selektion zugunsten von Jungen und zuungunsten von Mädchen. Sie schreibt dazu: „Die Ein-Kind-Politik tötet Mädchen. Seit die Ultraschalluntersuchungen überall verbreitet sind und selbst die einfachsten Krankenhäuser auf dem Land oder fahrende Doktoren den Blick auf den Embryo anbieten können, ist das Geschlechterverhältnis empfindlich aus dem Gleichgewicht geraten. Als normal gilt bei Geburten ein Verhältnis von 100 Mädchen zu 110 Jungen. In China waren es im Jahr 2005 an manchen Orten schon 100 zu 118 Jungen und im Jahr 2007 wurden im landesweiten Durchschnitt sogar schon 122 Jungen im Vergleich zu 100 Mädchen geboren. In einigen Orten in der südchinesischen Provinz Guangdong lag der ‚Überschuss‘ der Jungen bei 130 zu 100. Für das unnatürliche Geschlechterverhältnis gibt es nur eine Erklärung: Nach einer Geschlechterbestimmung durch Ultraschalluntersuchung werden weibliche Embryos abgetrieben.“ (S. 119). Weil der prozentuale Überhang der Jungen unübersehbar wurde, so Kolonko, hat die chinesische Regierung erfolglos verboten, das in Arztpraxen und Krakenhäusern das Geschlecht der Ungeborenen bestimmt wird. Im Zweifelsfall ist dem medizinischen Personal ein Gefallen oder Geld lieber. „Überall auf den Dörfern in China kann man Werbung für ‚Ultraschalluntersuchungen‘ sehen. In China dann eine Schwangerschaft abbrechen zu lassen, ist nicht schwierig. Abtreibungen werden in allen Krankenhäusern wie am Fließband vorgenommen, ohne Fragen und Genehmigung. Der Staat ist froh über jede verhinderte außerplanmäßige Geburt.“ (S. 120).

Die Mädchen sind aber noch lange nicht sicher, wenn sie trotz allem zur Welt gekommen sind, wie Kolonko feststellt: „Weiter kommt es auch vor, dass Bauern, die eine Tochter ‚zu viel‘ haben oder die Geburt eines Kindes den Familienplanungsbehörden verheimlichen wollen, neugeborene Mädchen aussetzen. Es gibt keine offiziellen Angaben darüber, wie viele Mädchen jedes Jahr ausgesetzt werden.“ (ebd.) Aber praktisch alle Findelkinder sind Mädchen. „Immer wieder werden auch Fälle von Babyhandel bekannt. Bauersfrauen, die eine ungewollte Tochter geboren haben, geben sie gegen eine Bezahlung zur Adoption frei oder ‚verkaufen‘ sie direkt an Mädchenhändler. Oft sind Krankenhäuser an diesem Kinderhandel beteiligt. All dies ist illegal und wird, wenn es denn bekannt und verfolgt wird, bestraft.“ (ebd.).

Was aber tut die Regierung, um der Selektion der Mädchen entgegenzuwirken? Kolonko schreibt dazu: „Als die chinesische Regierung den Bauern erlaubte, ein zweites Kind zu haben, wenn ihr erstes ein Mädchen war, bestärkte sie die Missachtung der Mädchen, die auf dem Land aus traditionellen und praktischen Erwägungen weiter vorherrscht. Um solcher Kritik entgegenzuwirken, behauptet die chinesische Regierung jetzt, dass ihre Familienplanungskader nicht nur Geburten verhindern, sondern auch Aufklärungsarbeit leisten. Eine Kampagne ‚Schützt unsere Mädchen‘ soll besonders dem Landvolk beibringen, dass auch Mädchen ihren Wert haben.“ (ebd.) Die Kampagne verspricht Bauern beim Verzicht auf eine weitere Geburt nach der Geburt eines Mädchens eine staatliche Rente und eine Einmalprämie. Doch eine unerwartete soziale Entwicklung ist eher für eine Änderung verantwortlich: „Eine erste Änderung in der Einstellung zu den Töchtern hat sich in den letzten Jahren auch ohne staatliche Kampagne dort entwickelt, wo die jungen Leute in die Städte abwandern. Eltern konnten feststellen, dass nicht nur ihre Söhne, sondern auch die Töchter Geld nach Hause schicken, wenn sie als Wanderarbeiterinnen in die Städte gehen.“ (ebd.).

Zu Abtreibungen in China allgemein schreibt Kolonko erstaunlicherweise: „Wenig diskutiert wird eine andere Auswirkung der Ein-Kind-Politik: Abtreibungen sind weitverbreitet und belasten die Frauen psychisch und physisch. Wie viele Abtreibungen jährlich in China ausgeführt werden, ist ein Staatsgeheimnis. Nach einer Schätzung der amerikanischen Organisation Planned Parenthood werden jedes Jahr in China zwischen 500 000 und 700 000 Schwangerschaften abgebrochen. Inoffizielle Umfragen ergeben, dass die meisten älteren Frauen im Durchschnitt zwei bis drei Abtreibungen hinter sich gebracht haben.“ (S. 123). Dabei gilt generell: „Ethische Fragen eines Schwangerschaftsabbruches dürfen nicht aufgeworfen werden.“ (ebd.). Jede Diskussion über den Wert des ungeborenen Lebens wird unterdrückt, da sie leicht in eine Kritik der Ein-Kind-Politik umschlagen könnten.

Moralische und/oder religiöse Kritik aus dem Ausland wird – wie auch sonst – mit dem Hinweis auf die eigene chinesische Kultur zurückgewiesenen. Nur, möchte man die chinesische Regierung fragen: Welche chinesische Besonderheit soll denn hier zum Tragen kommen? Die traditionelle chinesische Sicht der Harmonie des Lebens wird jedenfalls nicht dadurch herausgestellt, dass das Leben eines Mädchen und von ungeborenen Kindern nichts wert ist, ebenso wenig die hohe Stellung der Mehrgenerationenfamilie in der klassischen chinesischen Philosophie.

 

Ein Kommentar

  1. johnny sagt:

    Das ist eine absurde Politik, man kann schon andere Weisen wählen um das Zahl der Bürger zu kontrollieren. So erzeugen sie nur die negative Konnotationen zur Abtreibung und diskriminieren die Notfälle wo Abtreibung die einzige Lösung für Frauen ist.

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