Ein wichtiger Beitrag zum Thema Religionsfreiheit
Elmer Thiessen. The Ethics of Evangelism: A Philosophical Defence of Proselytizing and Persuasion. (Paternoster, UK; IV Academic, USA), 2011.
In einer multikulturellen Welt steht Evangelisation oft unter Beschuss, wobei diejenigen, die evangelisieren, manchmal als arrogant, ignorant, heuchlerisch und übergriffig gebrandmarkt werden. Vor diesem Hintergrund stellt dieses ungewöhnliche Buch die Frage, welche Art von Evangelisation in einer liberalen, post-christlichen Gesellschaft ethisch vertretbar ist. Thiessen erörtert die unmoralischen Praktiken und Gesinnungen, die manchmal mit Evangelisation in Verbindung gebracht werden, und widmet sich dann kenntnisreich der Frage, wie man das Thema besser angehen kann. Sollten wir versuchen, Menschen zu Christus zu führen oder nicht? Er greift eine zeitgemäße, relevante kulturelle Debatte über Religion im öffentlichen und gesellschaftlichen Leben auf. Er untersucht die kulturellen und intellektuellen Einwände gegen Evangelisation genau und fair und liefert eine gründliche philosophische Verteidigung für öffentlich praktiziertes Christentum. Doch das Buch dient nicht dem Lobbyismus. Es enthält viel Selbstkritik und weist entschieden darauf hin, dass unethische Evangelisation schlichtweg falsch ist.
Das christliche Zeugnis ist keine ethikfreie Zone. Mission braucht einen ethischen Rahmen, wenn Christen wirklich den Willen Jesu tun wollen. Dies ist das Ziel des Buches: Nicht das Missionieren als solches zu verteidigen, sondern nur das ethische Missionieren:
„Mein Gesamtziel ist es, eine philosophische Rechtfertigung des Missionierens zu liefern und zu zeigen, dass eine ethische Form des Missionierens sehr wohl möglich ist“ (S. 21).
Diese Studie kommt zum richtigen Zeitpunkt, denn der erste ökumenische Ethikkodex für das christliche Zeugnis, der zwischen dem Vatikan, dem Ökumenischen Rat der Kirchen und der Weltweiten Evangelischen Allianz verhandelt wird, ist in Vorbereitung. Evangelisation und Ethik gehören zusammen und dürfen nicht voneinander getrennt werden, ebenso wie rechtliche und menschenrechtliche Fragen bei der Weitergabe von Glauben und Werten. Noch nie wurde dies so eingehend untersucht wie von Elmer Thiesen, der das Thema sowohl als innerchristliche theologische Frage als auch als allgemeine Rechtsfrage im Hinblick auf alle Religionen erörtert. Diese bisher umfangreichste ethische Analyse der Evangelisation ist von unschätzbarem Wert, sowohl für die Kirche als auch für alle, die sich für eine friedliche Gesellschaft einsetzen.
Der Kanadier Elmer Thiessen, der an der University of Waterloo promoviert hat, lehrte über 35 Jahre lang Philosophie und Religionswissenschaften am Medicine Hat College in Alberta und ist heute Forschungsprofessor für Pädagogik am Tyndale University College in Toronto. Thiessen hat zwei weitere Bücher mit einer ähnlichen Argumentationstiefe geschrieben: „Teaching for Commitment: Liberal Education, Indoctrination, and Christian Nurture“ [Pädagogik für engagiertes Handeln: Liberale Bildung, Indoktrination und christliche Erziehung] (1993) und „In Defence of Religious Schools and Colleges“ [Zur Verteidigung der religiösen Schulen und Hochschulen] (2001), in denen er nachweist, dass religiöse Bildungsarbeit möglich ist und ohne Indoktrination erfolgen sollte.
Er schreibt aus einem christlichen Blickwinkel und verteidigt die christliche Mission. Doch seine Argumente richten sich sowohl an säkulare Leser als auch an Anhänger anderer Religionen. Und seine allgemeinen Grundsätze gelten für alle Arten der Verbreitung einer Religion oder Weltanschauung und somit ist das Buch ein wichtiger Beitrag zum Thema Religionsfreiheit.
Ich denke, es ist wichtig, dass wir Thiessens Argument verstehen, dass Missionierung viel mit anderen Formen von Werbung und Marketing gemeinsam hat (S. 25). Man kann einer freien Gesellschaft nicht erlauben, mehr oder weniger alles zu bewerben und dann die Religionen auszuklammern. Ich möchte hinzufügen: Missionierung steht in engem Zusammenhang mit den Menschenrechten der Gewissensfreiheit, der Redefreiheit, der Pressefreiheit und anderen. Solange wir darauf bestehen, dass Amnesty und Greenpreace, politische Parteien aller Art, Schulen und Universitäten und viele mehr, die Freiheit haben müssen, die Mitglieder einer freien Gesellschaft zu erreichen, warum in aller Welt sollten Religionen oder die christliche Religion hier eine Ausnahme bilden?
Thomas Schirrmacher, Direktor, Internationales Institut für Religionsfreiheit, Professor für Religionssoziologie, Vorsitzender der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz
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